Eigentlich ist es das Enzenberger-Bush-Syndrom: Wenn einem gar nichts mehr einfällt, wenn man kaum noch beachtet wird, dann haut man auf die Islam-Pauke und schon wird man gelesen, gesehen, gehört. So jüngst Alice Schwarzer in der FAZ. Eine ganze Seite bekam die Emma-Chefin und gab dem Affen, pardon, dem Feuilleton-Chef der Frankfurter Zeitung, Zucker: "Als Symbol" sei das Kopftuch islamischer Frauen "vergleichbar mit dem Judenstern."
Das ist der Fluch des geschwollenen Auftritts, man muss immer noch einen draufsetzen und da Auschwitz die Mega-Metapher ist, stört es Frau Schwarzer nicht, dass sie mit ihrer Lautsprecherei mal eben den Holocaust verkleinert, es geht ihr ja nicht um Genauigkeit, um Problemlösung, es geht um Ego-Pflege um das Wegschminken der Falten der Bedeutungslosigkeit, da kann mensch gar nicht dick genug auftragen.
Natürlich ist die Lage der Frau ein wesentlicher Gradmesser für die Freiheit in Gesellschaften. Aber niemand sollte doch bitte so tun, als sei der erreichte Grad der Emanzipation in den West-Reichen eine stabile, altbewährte Einrichtung. In der Westrepublik blieb Mutti bis in tief in die 60er Jahr aber schön Zuhause, es galt in der Mehrheit der Bevölkerung als ehrenrührig, wenn der Mann die Familie nicht alleine versorgen konnte. Wer zahlt, schafft an: Vati hatte das Sagen, Mutti die Kinder und, je nach Zeit und Gegend, auch ein Kopftuch. Und wer heute über Fundamentalismus redet ohne die Position der katholischen Kirche zur Abtreibung oder zur Homosexualität zu erwähnen, der ist aus ideologischen Gründen einäugig.
Die Schieflage der Gleichberechtigung wurde, in zähen und langen Kämpfen der Frauenbewegung geändert, keineswegs beseitigt. Für den großen Anteil den Frau Schwarzer daran hatte, muss man ihr Respekt zollen. Eine Lizenz für Überheblichkeit ist damit nicht erteilt. Nicht wir werden das patriarchalische System in vielen islamischen Familien und Ländern ändern, das werden die Frauen selber machen, selber machen müssen, wie in Europa auch. Und man hilft ihnen nicht dabei, wenn man Sätze absondert wie "...dass die es ernst meinen. Ganz wie Hitler 1933." Weil dieser Vergleich ebenso undifferenziert wie unwissenschaftlich ist, weil Frau Schwarzer einfach nicht weiß wer "die" denn sind. Weil solche Vergleiche Türen schließen.
Mit so einem schnellen Sätzchen wie "Das Geld kommt aus Saudi-Arabien, die Ideologie aus Iran" wird der Wahabetismus, eine Lieblingsideologie aus Saudi Arabien die nach Afghanistan und in andere Länder exportiert wurde, schlicht dem verschärften Shiitismus zugeschlagen, der aber zu dessen Todfeinden zählt. Wenn man keine Ahnung hat, meint Alice, sind die Behauptungen wohlfeil. Allerdings hilft ihr der Interviewer nach Kräften dabei, den Leser für blöd zu verkaufen, wenn er die Frage stellt, ob wir denn keine stärkeres Ungleichgewicht bekommen, "weil sich bestimmte Mittelschichten im Laufe der letzten Jahre nicht genügend reproduziert haben". Frank Schirrmacher hat die klassische xenophobe Furcht vor der türkischen Geburtenrate, er sagt es nur komplizierter.
Aber die Dame Schwarzer folgt ihm gerne ins Bodenlose, denn "Die Fremdenliebe, die Verherrlichung des Fremden ist ein Resultat dieser mangelnden Selbstachtung." Ich weiß nicht, wo Frau Schwarzer in diesem Land Verherrlichung des Fremden erlebt hat, vielleicht in den 50ern, als Kaugummi, Jeans und Coca Cola der Inbegriff moderner Identität waren. Aber ganz sicher ist die Voraussetzung für Fremdenliebe, die Selbstachtung, ein ordentliches Selbstbewusstsein. Wie sollte man andere lieben, wenn man sich selbst nicht liebt? Die Konzentration von Fremdenfeindlichkeit findet sich am sozialen Rand, dort wo eben aus mangelnder Selbstachtung dumpfer Deutschlandwahn erwächst.
Dass Alice Schwarzer zur Schmöckin des Monats Juli erklärt werden konnte, verdankt sie auch dem großen ökonomischen Sachverstand, den sie in der Schlussphase des FAZ-Interviews äußert. Dort fällt ihr zur schlechten wirtschaftlichen Lage Deutschlands ein, dass "das ganze System sich rütteln wird, bis alle auf dem gleichen Level sind". Klar, die Ackermanns auf dem der Maiers oder so. Und sie sieht darin eine große Chance: "Das führt zu neuen Verteilungskämpfen. Das heißt für die Männer: Privilegien abgeben." Dass es für die Mehrheit der Männer und Frauen in Wirklichkeit heißt, ihre Arbeitsplätze abzugeben, verortet das Emanzipationsgerede der Schwarzer dort, wo es das System kaum rütteln wird: Auf der Wolke der Belanglosigkeit.