Was duftet so spät des Nachts im Wind?
Das ist das Wasser aus Köln, mein Kind!
Nach J. W. v. Goethe
Natürlich hat der Meister aus Weimar nie und nimmer ein Reklame-Gedicht geschrieben. Oder doch? Sind die "Originalbriefe" Goethes, die im Stammhaus derer von Siebenvierzig Elf lagern, nur einfache Dankschreiben? Von Wagner sollen auch welche existieren. "Walle oh Wasser, frisch aus der Flasche, auch auf der Reise, fülle die Tasche", könnte durchaus vom Chef des Wagalaweia-Konzerns sein. Doch heute setzt die rund 200 Jahre alte Marke auf Glaube & Freiheit, starke Worte für einen schwachen Duft. Mehr als 6.000 Werbeanreize fallen täglich auf den armen Kopf des einzelnen Bundesbürgers und prägen so das informationelle Klima Deutschlands. Nur die dicksten Lügen haben in diesem Wettbewerb eine Chance zum Hypothalamus, jenem Flecken im Gehirn, der die Kaufhormone steuert, vorzudringen.
Sicher könnte auch das weißeste aller Persile oder der unsägliche Mike Krüger und sein Baumarkt zum Schmock des Monats erkoren worden sein. Doch 4711, das unerlässliche Immerdabei der letzten 200 Jahre, das grün-goldene Monster des Marketings, die Flasche der Ohnmacht ("Nachbarin, Euer Fläschchen", Faust, Teil I) und der Konferenzpause (Er schwitzt, der dicke Herr, nur ein paar Tropfen in die behaarten Achseln . . .), darf als exemplarisch für den restlichen Reklameplunder gelten. Für jene kulturelle Großmacht, die dem Konsumenten den Lebensstil beibringt, deren Kaufversprechen die einzigen Versprecher sind, die Geld bringen. Und weil in Zeiten der Krise nur der verschärfte Konsum patriotisch ist, kommt von 4711 nicht nur Frische sondern auch Rettung.
"Die Anwendung der einzigartigen Komposition wirkt wohltuend auf Körper, Geist und Seele", verspricht uns das Echt Kölnisch Wasser, das Aqua Mirabilis, das Wunderwasser in einer selten geschwollenen Marken-Beschreibung. Die Seele, das Ding, das angeblich die letzte Reise antritt, sicher nicht ohne kölnisch Wasser, ist der entscheidende Hinweis zur aktuellen Kampagne des Kölner Unternehmens. "Ich glaube", bekennen diverse Damen und Herren aus allerlei Ländern in der fetten Kopfzeile einer Anzeigenserie, um weiter unten zu bekennen, dass sie an das Wunder "geistiger Stabilität" oder "innerer Kraft" glauben. Der mit der Kraft trägt einen Turban, ein Kastenzeichen und einen wallenden, weissen Bart, es wird der Eau-de-Cologne-Guru sein.
Der Fernsehauftritt der Marke nimmt die Hektik diverser Großstädte zum Anlass, um das Wundermittel anzupreisen: Ein Verkehrschaos, inmitten ein Mensch, seiner Umwelt hilflos ausgeliefert, allein und einsam. Dann das Wasser, erst auf die Hände, von dort ins Gesicht, der Lärm lässt nach, Musik klingt auf und Fräulein Natzuko aus Tokio, zum Beispiel, sagt. "Ich glaube", auf Japanisch versteht sich. Sandra aus Köln glaubt auch, mehr noch: Sie findet das Duftwasser "Wunderbar befreiend". Das ist die Achse der Verblödung. An Wunder glauben und daran, dass drei Tropfen 4711 Befreiung versprechen. Wer annimmt, dass Sprüche dieser Art nicht für bare Münze genommen werden, der glaubt auch, dass Wählerstimmen für Angela Merkel versehentlich abgegeben worden sind.
Das Unternehmen Mäurer & Wirtz, von dem 4711 unter die Leute gebracht wird, weiß über seine Firmen-Kultur zu sagen, dass sie Engagement und Freiraum vereint. Dieses Engagement hat, in einem anderen Firmenzweig, sicherlich zur Produktion von Contergan geführt. Jenem Schlafmittel, dass Missbildungen bei Neugeborenen verursachte und erst nach 1.600 Hinweisen und vier Produktionsjahren widerstrebend vom Markt genommen wurde. Seinen Freiraum nutzte ein führender Mitarbeiter des Unternehmens, Dr. Mückter, als er 1946 vom Osten in den Westen flüchtete, weil die polnischen Behörden ihn wegen medizinischer Experimente an KZ-Häftlingen belangen wollten. "Deshalb", so steht es im Firmen-Glaubensbekenntnis, ist die Tradition eine der wichtigen Säulen unserer Unternehmenskultur." Angeblich stinkt Geld nicht. Sicherlich nur dann, wenn ausreichende Mengen von 4711 zur Verfügung stehen.