Ein Kichern soll aus der SPD-GRÜNE-Runde zu hören gewesen sein, als die Herren Gabriel und Trittin sich den Kandidaten Gauck zur Präsidentenwahl ausgedacht hatten: Das würde die Regierungskoalition aber heftig in Verlegenheit bringen. Und tatsächlich scheint der Zaubertrick zu gelingen. So mancher FDP-Delegierte wird in der Bundesversammlung in Versuchung sein, dem pastoralen Gauck seine Stimme zu geben. Gauck ist auch für diesen oder jenen aus CDU-CSU eine, für die Verhältnisse der Polit-Christen, ehrbare Gelegenheit, der Kanzlerin eins auszuwischen. Und schließlich liebäugeln sogar die vorgeblichen Realos der Linkspartei mit dem dritten Wahlgang und dem zweiten Kandidaten: Gauck scheint jedermann zu schmücken.
Es ist eine wirklich große Koalition in den Medien, die den Rostocker Freiheitskämpfer anscheinend für das Salz der Erde hält: Die eher rechte "Bildzeitung" textet "Yes, we Gauck" und die als linksliberal geltende "Zeit" feuert den Mann mit einem flotten "Go for Gauck" an. Es ist die Sehnsucht nach einem Vater des Volkes, nach einem Reichseiniger im Parteienstreit, nach einem, der auch in den Wogen der ökonomischen Krise über Wasser gehen sollte. Das meinen natürlich nicht die Berufszyniker in den Redaktionen. Die hoffen, dass ein irritiertes Volk an das Märchen vom neuen, zeitgemäßen Hindenburg glauben wird. Es ist die Hoffnung auf ein politisches Psychopharmaka, dessen Nebenwirkungen jederzeit durch ein Kanzler-Veto einzugrenzen wären. Nicht zuletzt wäre Gauck das Signal für eine große Koalition, die zumindest der Wirtschaft bessere Verwertungsbedingungen sichert als die schwarz-gelbe Wackelei.
Gauck ist ein relativ später Freiheitskämpfer. Vor dem Oktober 1989 hätte niemand ihn zu den Bürgerrechtlern der DDR gezählt. Auf den ökumenischen Versammlungen der DDR, die seit Februar 1988 den kirchlichen Widerstand in der DDR formierten, war er nicht anzutreffen. Aber auch wer spät kommt, kann wichtig werden: Auf Vorschlag von Helmut Kohl wurde Gauck zum Chef der später gleichnamigen Behörde ernannt. Der Job legte ihm bei öffentlichen politischen Äußerungen gewisse Zügel an. Seit der Mann zum Kandidaten für das scheinbar höchste Amt im Staate mutiert ist, sitzt ihm die Zunge locker: "Ich bin ja nicht so jung und schön wie Obama", sagte er jüngst bei einer seiner vielen Wahlkampfveranstaltungen im Berliner Gorki-Theater. Und jeder konnte das "ja, aber" spüren: Aber fast so schön und mindestens so intelligent und doppelt so rhetorisch begabt, wollte der Herr Pfarrer uns sagen. Im Deutschen Theater entfährt ihm dieser Satz: "Wer ausgerechnet der Wirtschaft die Freiheit nehmen will, wird immer mehr verlieren als gewinnen." Dass es immer die Wirtschaft ist, die sich jede Freiheit rausnimmt, kommt dem Gauck nicht in den Sinn. Aber wer sich über Jahre, sei es als fest angestellter Pastor oder als pensionsberechtigter Behördenleiter, um seinen Job keine Sorgen machen musste, der kann bequem über die Freiheit des Marktes schwätzen.
"Ich kann westdeutsch sprechen und habe immer schon westdeutsch gedacht", schmeichelt der Kandidat der Mehrheit der Deutschen und man glaubt es gern. Aber da auch in Westdeutschland zwei Sprachen gesprochen werden - eine oben, eine unten - muss man präzisieren: Er wird jene Sprache meinen, die Frau Merkel blitzschnell gelernt hat: 'Karrieristisch', ein Idiom, das gern die eigene Herkunft verleugnet. Gauck hält sich für einen Mann mit Charakter, deshalb kann er auch den Krieg in Afghanistan so treffend einschätzen: "Dieser Einsatz der Bundeswehr hat einen vollkommen anderen Charakter als Militäraktionen früherer deutscher Armeen." Auch über die Dauer der deutschen Präsenz in Afghanistan hat Gauck präzise Vorstellungen: Die „Solidargemeinschaft der Kämpfenden“ zu verlassen, hält er „nicht für besonders erwachsen“. Für Gabriel und Trittin, die zwar in der Regierungszeit von SPD und GRÜNEN die Deutschen in den Krieg reingeritten haben, heute aber so unschuldig gucken, als seien sie nie dabei gewesen, tut sich ein echtes Problem auf.
Es muss ein sehr dunkler, unübersichtlicher Zylinder gewesen sein, aus dem GRÜNE und SPD ihr Kaninchen namens Gauck gezaubert haben. Mit Gaucks Äußerungen zum SED-SPD-Papier aus dem Jahr 1987, das er als "peinlichen Schulterschluss" bezeichnet, kann die SPD kaum glücklich werden. Auch das Plädoyer des Kandidaten für die Rente mit 67 kommt für GRÜNE und SPD zur Unzeit. Zwar haben die Parteien, als sie noch regierten, diese Regelung ganz toll gefunden, aber in der Opposition sind sie doch zu völlig anderen Erkenntnissen gekommen. Auch die Gaucksche Formulierung, dass ihm das "Freiheitsthema" wichtiger sei als das "Gerechtigkeitsthema" dürfte den Zauberkünstlern keine wahre Freude bereiten. Aber vielleicht finden sie sich ja in der Formulierung des Prätendenten wieder, der Menschen kennt, „die fast neurotisch auf der Größe der deutschen Schuld beharren." Das Kichern könnte den Herren Trittin und Gabriel noch vergehen, wenn ihr Plan aufginge und Gauck eine Mehrheit in der Bundesversammlung bekäme. Denn auch wenn Angela Merkel es offiziell abstreitet: Gauck ist in Wahrheit ihr Kandidat.