BILD am Montag, der wöchentliche SPIEGEL, hat mal wieder zugeschrieben: Diesmal ist es das »Lebensgefühl Angst«, das uns als neuer Trend angeboten wird. So etwa alle sieben Wochen, wenn den Spiegel-Redakteuren absolut nichts mehr einfällt, erfinden sie einen völlig neuen Trend. Er ist wirklich immer neu, denn bisher gab es ihn außerhalb des Blattes nicht, außer er wäre aus einem alten SPIEGEL-Trend recycelt.

Natürlich kommt uns der jeweilige SPIEGEL-Trend immer höchst wissenschaftlich: »Selbst wenn der Deutsche im Baumarkt den perfektesten aller Rasenmäher sucht, arbeitet sein Unterbewusstsein historische Demütigungen ab.« Was könnte das sein? Zwei verlorene Weltkriege, die späte Reichseinigung oder, dass ein Engländer den Rasenmäher erfunden hat? Der SPIEGEL lässt uns mit der Antwort allein und Angst beschleicht uns.

»Ein altes Leiden der Deutschen lässt grüßen: Die Angst«, so startet die SPIEGEL-Titelstory, um flugs in der, vom Hamburger Magazin patentierten Zwar-Aber-Methode zu landen: Zwar wird den Deutschen in der Story eine »relative Gelassenheit« attestiert, zwar sieht der Zufalls-Schreiber eine »Hochstimmung«. Aber lässt sich aus positiven Haltungen wie Gelassenheit und Hochstimmung eine Titelstory basteln? Na, siehste. Deshalb muss das »Aber« ungeheuer hochwertig aufgeladen werden: Mit einem bedeutenden Autor des »Tagesspiegel«, der mal geschrieben haben soll »das Unwohlsein wächst« und dem weltbekannten Schleswig-Holsteinischen Innenminister, der feststellt: »Die Gefahr rückt näher.«

Es gibt keine Umfrage, die den Trend des SPIEGELS stützt, keine medizinische Untersuchung die das Geschreibsel untermaueret, also muss eine Statistik so lange gedreht und gewendet werden, bis sie in den frei fantasierten Trend passt: »Fast 20 Prozent«, erzählt uns das Blatt, sei der Anteil der deutschen Selbstmorde in Europa. Dass dieser Anteil nur so hoch ist, weil die Deutschen einfach eine höhere Bevölkerungszahl haben als zum Beispiel die Littauer, und dass die an der Spitze des europäischen Selbstmordwettbewerbes stehen und die Deutschen eher am Ende, das ficht den SPIEGEL nicht an. Ganz besonders geschmacklos wird die Suizidthese, wenn sie mit den Selbstmorden der Politiker Barschel (1987) und Möllemann (2003) belegt wird.

Mühsam liest man sich durch die 13 (!) Seiten, um an den Kern der dort ausgebreiteten Sache zu gelangen. Wie immer bei den frisch erfundenen SPIEGEL-Trends geht es natürlich um Stoffmangel und Gedankenarmut. Aber bei näherem Hinlesen ist ein zweiter Grund zu entdecken: Der liebe Gott, genauer gesagt, dessen Abwesenheit. Weil »In einer säkularisierten Kultur, die den Tod Gottes betreibt«, der Mensch ohne das Leben nach dem Tod, der religiösen Verheißung, besonders ängstlich werden muss.

Geradezu panisch reagiert der SPIEGEL-Autor, wenn ihm einfällt: »In der `Aufklärung´ leuchtet das Licht des barmherzigen Gottes, der den Mensch letztlich aus der Angst rettet, schwächer«. Da haben wir ihn, den eigentlichen Trend unter deutschen Intellektuellen: Man will es nicht mehr so genau wissen, die Halbwahrheit genügt dem SPIEGEL, das gilt auch für andere Medien, der Rest wird mit Glauben aufgefüllt. Die Angst des Lesers vor dem Mainstream-Journalismus ist, angesichts des zunehmend schlampigeren Handwerks, nur zu berchtigt.

Auf der Flucht vor der `Aufklärung´ gelingt dem SPIEGEL-Schreiber dann auch noch eine wunderschönes Sprachbild, wenn er vom »tastenden Ernst« der großen Denker schreibt. Er meint natürlich nicht die durchaus ernsthaften Belästigungen, denen die weiblicher Umgebung mancher Denker ausgesetzt war, er meint Kierkegaard und dessen These: »Je mehr Gottesvorstellungen, desto mehr Selbst.« Da hat er natürlich recht, denn dass Selbstbewusstsein des wiedergeborenen Christen Bush und seiner muslimischen Gegenüber speisen sich aus der selben düsteren Quelle: Einer Paradiesverheißung, die zur mörderischen Rechthaberei führt, und deren Dimensionen uns im Streit um das iranische Atomprogramm durchaus zu einer schnellen Jenseitigkeit befördern kann.