Die unterschiedlichen Nationen, jene überkommenen und letztlich überflüssigen Gemeinschaften von Menschen gleicher Sprache, gleicher Geschichte und gleicher Kultur, pflegen traditionell unterschiedliche Bräuche. Die Japaner z. B. halten sich mehrere Religionen nebeneinander, man kann zugleich Buddhist und Schintoist sein, so etwas fördert die Flexibilität, ein wesentliches Element wirtschaftlicher Entwicklung. Nicht wenige Inder halten Kühe für heilig, eine zweifellos produktive Religion, gibt die Kuh doch mehr Milch als das Futter wert ist, das für sie aufgewendet wird. Eine Mehrheit der Amerikaner hält sich für gottgewollt und ein Geschenk an die restlichen Nationen. Mit dieser Haltung ist der Amerikaner leichter in Kriege gegen andere, nicht von Gott gewollte Nationen, zu führen. Das kurbelt die Rüstungsindustrie an und dient dem Export amerikanischer Produkte. Ganz anders und letztlich kontraproduktiv ist das im alten Europa verübte Weihnachtsbrauchtum, dessen geistiges Zentrum in Deutschland liegt.

Alle wollen was geschenkt haben, viele bekommen was geschenkt: Dieser weihnachtliche Grundbrauch führt, wie man unschwer an den Deutschen erkennen kann, zu einer passiven Sozialmentalität: Der liebe Herrgott, der Staat oder wer auch immer, soll es schon richten. Der Deutsche will es nicht erarbeiten, er will es geschenkt. Diese Unterschichtenmentalität ist bereits in der Weihnachtslegende begründet: Ein Kind, das in einer verfallenen Behausung auf Stroh liegt, wird von mehreren Königen besucht. Die Könige sind in einer modernisierten Fassung jederzeit durch Vorstandsvorsitzende, Präsidenten oder Geschäftsführer zu ersetzen. Es sind also gesellschaftliche Repräsentanten, diejenigen, die das Geld verdienen, die irgendeiner Getto-Göre huldigen und Geschenke vorbeibringen sollen. Diese Anbetung der Armut ist der Kern einer Ideologie, deren tägliche Praxis zur millionenfachen Faulheit in der sozialen Hängematte führt.

Insbesondere die so genannten "Weihnachtslieder", eine Mischung aus Bettelgesang und dumpfem Aberglauben, lassen den Analysten bei näherem Betrachten der Inhalte dieser Lieder erschauern: "Morgen, Kinder, wird´s was geben, morgen werden wir uns freun!" Diese Vertagung der Problemlösungen auf morgen ist kennzeichnend für eine Gesellschaft, die nicht im Hier und Jetzt ihre Schwierigkeiten angehen will, sondern hofft, sich morgen freuen zu können. Im selben Lied tritt die fatalistische Grundhaltung einer ganzen Generation offen zu Tage: "Welch ein schöner Tag ist morgen! Viele Freude hoffen wir; uns´re lieben Eltern sorgen, lange, lange schon dafür." Als ob die, die heute solche Lieder singen morgen eine Rente bekämen! Wir alle wissen, die Elterngeneration zahlt viel zu wenig in die sozialen Systeme ein, als dass noch Freude aufkommen könnte.

Auch die religiös verbrämte Weihnachtsbotschaft beginnt mit einer völlig unzeitgemäßen Sentenz: "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen", wer so etwas behauptet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Wer hier und heute seinen Frieden mit dem weltweiten Terrorismus machen will, der ist unschwer als Sympathisant von Osama bin Laden zu erkennen. Es ist ein wohlfeiler Opportunismus, der allen Menschen "ein Wohlgefallen" sein will. Während der internationale Wettbewerb ein wesentliches Merkmal der globalisierten Wirtschaft ist, sollen mit einem gleichmacherischen "Wohlgefallen" die sozialen Unterschiede nivelliert und wahrscheinlich staatliche Wohltaten unter die Leute gebracht werden.

Als das "Fest der Liebe" werden die vielen arbeitsfreien Tage Ende Dezember bezeichnet, in Wahrheit geht es natürlich um Libertinage, wie in einem anderen Weihnachtslied deutlich wird: "Euch ist ein Kindlein heut geborn, von einer Jungfrau auserkorn". Mit der vorgeblichen Jungfrauengeburt wird nicht nur die Biologie auf den Kopf gestellt, es schleicht sich auch eine bedenkliche Sexualmoral in das deutsche Alltagsleben, wenn demnächst jeder Fehltritt mit einer Taube erklärt wird, die der ehemaligen Jungfrau die Bescherung verursacht haben soll.

Wenn die Deutschen ernsthaft ihre Wirtschaft ankurbeln wollen, sollten sie mit der Abschaffung des Weihnachtsbrauchtums beginnen. Mit einer solchen Maßnahme würden sie ihre Bereitschaft zur Rückkehr in die Gemeinschaft der börsennotierten Staaten bekunden und sich vom emotionalen Wunderglauben ab- und dem Shareholder Value zuwenden. Man darf sicher sein, dass, eine gewisse Lohnzurückhaltung vorausgesetzt, so mancher Deutscher mit einem Arbeitsplätzchen belohnt werden würde.

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