Zwei kleine Italiener, die träumen von Napoli,
von Tina und Marina, die warten schon lang auf sie.
Zwei kleine Italiener die sind so allein.
Eine Reise in den Süden ist für andre schick und fein,
doch die beiden Italiener möchten gern zuhause sein.
Conny Froboes, 1962

Falls es zwischen 900 und 1000 schon das Land Deutschland gegeben hätte, dann wären die Magyaren, ein ziemlich unruhiges Reitervolk, wohl die ersten Migranten in Deutschland gewesen: Rund 60 Jahre lang versuchten sie Teile des Ostfrankenreiches unter ihre Kontrolle zu bringen. Erst als sie in der Schlacht auf dem Lechfeld, nicht weit von Augsburg, unter der Führung Otto I. vernichtend geschlagen wurden, zogen sie sich in das heutige Ungarn zurück und wurden sesshaft. Wahrhaftige Historiker, wie der Exkanzler Helmut Schmidt, sehen in Otto den Gründer des deutschen Reichs. Dass er so nebenbei auch König von Italien war, stört solche Reichs-Helmuts nur wenig. Spuren der Magyaren findet man noch heute in Bayern: Die schräg gestellten Augen mancher bayerischer Landeskinder verweisen bis heute auf eingewandertes Erbgut. Ethnologen werten diese Hinterlassenschaft nicht als Integrationsanstrengungen der Magyaren.

Die Liutizen und Obotriten, Volksgruppen, die den Slawen zuzurechnen sind, bewohnten im Mittelalter Teile von Mecklenburg, Brandenburg und Holstein. Sie hatten, aus der Sicht der ostfränkischen Migranten, die erst später in diese Gegend kamen, mehrere Nachteile: Sie waren Heiden, während die Ostfranken schon Christen waren, sie sprachen kein ordentliches Deutsch und sie wollten ihren Grund und Boden nicht freiwillig rausgeben. Grund genug für die christlichen Einwanderer eine Parallelgesellschaft aufzubauen. Erst der Wendenkreuzzug von 1147 mit seinen anschließenden Massentaufen brachte die Wenden zur Assimilation. Die deutschsprachigen Ostfranken integrierten sich erfolgreich als neue Besitzer der eroberten Ländereien, das Sorbische blieb als folkloristische Erinnerung an die einstigen, slawischen Herren des Landes übrig.

Tibulsky, Szymanski, Pawelcyk und viele andere, ähnlich klangvolle Namen sind bis heute im Ruhrgebiet zu finden. Sie sind die Hinterlassenschaft polnischer Arbeiter, die im Zuge der deutschen Industrialisierung den Teil Westfalens besiedelten, in dem Kohle abzubauen und unangenehme Arbeit an Hochöfen zu verrichten war. Bottrop, zum Beispiel, zählte im Jahr 1875 nur 6.600 Einwohner. Um 1915 hatte sich die Zahl verzehnfacht und die ursprüngliche Bevölkerung wurde zur Minderheit. Die Polen entwickelten sofort eine Parallelgesellschaft: Eine eigene Gewerkschaft, eine polnische Bank und eine Zeitung wurden im deutschen Ruhrgebiet gegründet. Natürlich sprachen die Einwanderer kaum Deutsch. Das und ihr fanatischer Katholizismus machte die Arbeitsmigranten nicht beliebt. Auch der Großdenker und Gelegenheitshistoriker Helmut Schmidt wußte schon was dazu zu sagen: "Wir haben die Ruhrpolen verdaut, also werden wir auch die Gastarbeiter verdauen." Hier, wie auch anderswo, irrte Schmidt: Zwei Drittel der Polen haben Deutschland später verlassen. Soweit zu Hochrechnungen und Statistiken scheinbar wichtiger Sozialdemokraten.

Angeblich waren sie auch Deutsche, aber wer von den Hiesigen wollte die ostpreußischen, schlesischen oder sudetendeutschen Dialekte in der neuen Nachkriegs-Heimat - ob in Mecklenburg oder im Rheinland - schon für richtiges Deutsch halten? Sie hießen bei den Einheimischen Rucksack- oder Beutedeutsche und begannen, sofort nach ihrer Vertreibung aus den mehr oder weniger deutschen Ostgebieten, in Westdeutschland mit dem Aufbau von Vertriebenen-Verbänden. In München, Düsseldorf und Aachen zeugen "Häuser des deutschen Ostens" bis heute von einer starken Tendenz zur Parallelgesellschaft. Die Vertriebenen hatten mit dem BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) eine eigene Partei, gegründet von einem Ehren-Hauptsturmführer der SS, die immerhin mehr als zehn Jahre bestand und dann in der CDU/CSU aufging. Spätestens mit dem bundesdeutschen Vertriebenenminister Theo Oberländer (von 1953 bis 1960), der am Hitler-Ludendorff-Putsch teilgenommen und eine Karriere in der SA hinter sich hatte, durften die Vertriebenen als assimiliert gelten. Allerdings wurde dieser Prozess durch die Steuer-Millionen des "Lastenausgleich" (der u. a. den Vertriebenen Haus und Hof ersetzen sollte) sehr erleichtert. Anders als andere Migranten galten sie als "Volksdeutsche", die ihren "Wohnsitz in den zurzeit unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in den Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs" hatten: Mit ihnen waren lange Zeit Gebiets-Ansprüche anzumelden.

Ansprüche sollten die etwa vier Millionen italienischen "Gastarbeiter", die zwischen 1956 und 1972 in die Bundesrepublik einwanderten, lieber nicht erheben. Gern wurden sie in Baracken untergebracht. Vier kleine Italiener auf zwölf Quadratmetern: Das war in den 50er Jahren bei einem Miet-Quadratmeter-Preis von fünfzehn Mark ein blendendes Geschäft. Wie überhaupt die Mehrheit der Gastarbeiter - Griechen, Spanier, Portugiesen, Türken - ein prima Geschäft für die Deutschen war: Sie zahlte in die Sozialkassen ein, ging dann aber größtenteils in ihre Heimatländer zurück ohne die bundesdeutschen Kassen sonderlich zu belasten. Darüber gibt es weder Bücher noch Aufregung. Immer noch leben etwa 600.000 Italiener in Deutschland. Doch trotz der beliebten Pizza, der Pasta und der Toskanafraktion: Laut einer Studie der "Zeit" schneiden italienischstämmige Schüler an deutschen Schulen schlechter ab als andere Einwanderergruppen. Essen prima, Integration misslungen.

Seit 1.700 Jahren leben Juden dort, wo heute Deutschland liegt. In Köln, Trier, Mainz und Worms haben sie im Gefolge der Römer Gemeinden gegründet. Ob die heute in den genannten Städten wohnenden Deutschen ebenso lange dort existieren, ist fraglich. Eher dürften sie, im Rahmen der Völkerwanderung, einer sehr frühen Migrationsbewegung, hängen geblieben sein. Später sind jüdische Zuwanderer nach Deutschland aus Spanien, Polen oder Russland zu verzeichnen. Fraglos hatten sich viele Juden, soweit man sie ließ, in Deutschland integriert. Das ging bis zum "Jüdischen Frontkämpferbund", einer stramm assimilierten deutschnationalen Vereinigung, die ihren Sitz am Berliner Kurfürstendamm hatte. Das sollte nach 1933 anders werden. Die Frage, ob die Juden für die deutsche Volkswirtschaft von Nutzen waren, wird heute nicht gestellt. Obwohl das arisierte Vermögen deutscher Juden nachweislich bis heute zum Reichtum der Bundesrepublik beiträgt. Ob das nächste Sarrazin-Buch von den bis heute unbezahlten Fahrten jüdischer Fahrgäste mit der Deutschen Reichsbahn nach Auschwitz handeln wird, ist nicht bekannt.