Als einmal ein fremder Mensch aus einem fernen Land das neue große Deutschland besuchte, staunte er ob all der Pracht, die ihm hie und dort begegnete: Hinter großen gläsernen Fenstern sah er in den Auslagen von allerlei Läden Uhren und Schmuck. Für manches der Stücke hätte er zu Hause eine Provinz kaufen, seine Familie auf Jahre ernähren und sogar noch mildtätig zu seinen Nachbarn sein können. Weil ihm solche Pracht in die Augen stach und er gerne mehr über ihre Herkunft hätte wissen wollen, ging er auf einen schwarz gekleideten Mann zu, der an einer der Türen stand und eine Waffe an der Seite trug, also sicher sehr wichtig sein musste: "Guter Freund", sprach er den düsteren Mann an, "könnt ihr mir sagen, wem all dieser wunderschöne Luxus gehört?" Der Mann, der von des Fremden Sprache so viel verstand, wie der von der deutschen, nämlich gar nichts, antwortete mit einem mürrischen: "Verstehnix". Das war nun ein deutsches Wort, eigentlich eher deren drei und bedeutete so viel wie: "Ich verstehe nichts". Aber der Fremde fühlte sich doch verstanden und nahm an, dass all die verlockenden, teuren Waren einem Herren mit dem schönen deutschen Namen Verstehnix gehörten, und ein kleiner Neid packte ihn.

Nur wenig entfernt winkten dem Fremden von weitem glitzernde hohe Häuser, alle aus Stahl und Glas gemacht. Die Sonne spiegelte sich in ihnen, so dass sie ganz gülden wirkten. Hinter den Eingängen der Häuser winkten rote Teppiche, so als wollten sie denen da draußen sagen: Schwebt herein, wir sind auf den Besuch von Königen eingerichtet! Doch dem Fremden war der Eingang verwehrt. Ein Torhüter versperrte den Zugang zum Glasparadies. Der Fremde frug auch hier unverdrossen, wem denn das hohe Haus gehöre und der Wärter, der sich sicher schon lange die Beine in den Bauch gestanden hatte, knautsche ein mürrisches: "Verstehnix" als Antwort. Na ja, dachte der Fremde, wem solche Häuser gehören, der wird sich auch Uhren für den Preis von fünf Jahren Sattessen leisten können oder Schmuck, der ein langes Leben ohne Sorgen ermöglichen würde, verkaufe man ihn denn. Dieser Verstehnix ist ein glücklicher Mensch, sagte der Fremde bei sich, der hat ausgesorgt.

Als der Fremde nach längerem Umherschweifen an einen Hafen kam, in dem Yacht auf Yacht zusammenlagen und die Masten der Boote gegen einen blauen Himmel stießen, was ein malerisches Bild ergab, wunderte er sich ein wenig: So ein reiches Land, dachte er, und dann müssen sie ihre Waren immer noch mit Segelschiffen transportieren. Doch je näher der Fremde den Yachten kam, um so deutlicher wurde ihm ihr wirklicher Zweck: Schöne Frauen lagen auf den Decks und sonnten sich, mancher Mann sprang von den Booten aus purem Vergnügen ins saubere Wasser, hie und da standen große Kübel mit Champagner auf den Schiffen, so dass dem Fremden es so erschien, als sei die Ansammlung der Yachten ein einziges großes Fest. Einen der Männer, der gerade ein Boot verließ, fragte der Fremde nach dem Gastgeber dieser großartigen Party und die Antwort war ein knappes, harsches "Verstehnix". Ein wenig beklommen ob solchen Reichtums, denn der Fremde besaß nicht einmal ein Ruderboot, wendete er seine Schritte vom Hafen fort.

Wie der Mann aus der Fremde nun die Prachtstraßen verließ, geriet er an Häuser, deren Anstrich blätterte und deren Läden nur billiges Zeugs feilboten oder ganz und gar geschlossen waren. Vor manchen Läden standen Menschen und hielten demütig die Hand auf. Kinder wühlten im Müll nach Flaschen, als besäßen sie zu Hause keine. Andere wiederum hatten ihre Flaschen von zu Hause mitgebracht und saßen nun auf Parkbänken, um sie auszutrinken. Allerdings wirkte ihre gegerbte Haut auf den Fremden so, als hätten sie schon lange kein Zuhause mehr gesehen. Dem Mann aus der Ferne wollte dieser krasse Unterschied zwischen Pracht und Schäbigkeit nicht recht in den Kopf und als er an einem Geschäft mit Fernsehgeräten vorbei kam, sah er dort einen Mann und eine Frau bedeutend aus dem Bildschirm lächeln. Der Mann hatte eine sehr spitze Nase, Pockennarben im Gesicht, blondes, gewelltes Haar und eine blitzende Brille vor den Augen. Die Frau wirkte ein wenig älter, ihre dunkelblonden Haare glichen eher einer Perücke, sie trug ein knapp sitzendes Kostümjäckchen und, trotz des Lächelns, waren ihre Mundwinkel tief heruntergezogen.

Da um den Mann und die Frau im Fernsehen ein großes Aufgebot an Kameras und Fotografen war, dachte sich der Fremde, dass die beiden sicher wichtige Menschen sein müssten und fragte einen Passanten, wer den die beiden seien: "Verstehnix", lautete die Antwort und der Fremde erbleichte. So also ist das, dachte er bei sich, dem Ehepaar Verstehnix gehört alles und die anderen im Land müssen darben, da wurde sein Neid gering und seine Wut groß. Und er verstand die Deutschen nicht, die doch Tag für Tag sehen konnten, wo all der Reichtum war während nicht wenige bitter arm war. Es geht die Rede, der Fremde sei kopfschüttelnd in sein Land gereist und nicht mehr wiedergekehrt. Das alles weiß man nicht genau. Genau weiß man, dass in den deutschen Landen auf die Frage `wem gehört´s und wo geht´s hin?´, die Leute meist mit "Verstehnix" antworten. Ein kollektives Kopfschütteln allerdings, das Straßen und Plätze erzittern ließe und den Eheleuten Verstehnix Verstand beibrächte, scheint auszubleiben.

*Frei nach Johann Peter Hebel