Atemlos schweigt und starrt das Publikum des Zirkus Deutschland: Jetzt gleich legt die Kanzlerin ihren Kopf in das weit aufgerissene Maul des polnischen Präsidenten. Wird er zubeissen, wird er die Kanzlerin zerfleischen und damit der Europäischen Union den Todesstoss versetzen? Der Pole hat die Maulsperre! Zu weit aufgerissen, raunt das Publikum. Die Dompteuse fasst ihn gar an, streichelt ihn und flüstert ihm ins Ohr. Doch was macht der britische Premierminister? Er zuckt und muckt, er will nicht auf sein Podest. Hah, die Merkel knallt mit ihrer langen Peitsche in der Luft! Zwar macht der britische Premier nicht "sitz", aber unter dem Gesäusel der Kanzlerin rollt der Brite sich zusammen und schnurrt! Beifall brandet auf, ergriffen gehen die Zuschauer nach Hause: Wieder einmal hat die Kanzlerin alle gerettet! Danke, Angela.

Obwohl der Mantel der Geschichte in der Gestalt einer Zirkusplane geradezu historische Windverhältnisse erzeugt, wird das deutsche Alltagsleben immer wieder von Belanglosigkeiten wie der neuesten "Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks" gestreift: Während von 100 Akademikerkindern 83 an die Hochschule gehen, sind es bei Arbeiterfamilien nur 23. Und die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Tatsächlich gibt es Stimmen, die nach mehr Gerechtigkeit, nach Chancengleichheit quengeln. Es gibt sogar solche, die von den Kindern als einzigem Rohstoff den Deutschland besitzt, sprechen und Schaden für die wirtschaftliche Zukunft des Landes befürchten, wenn nicht alle sozialen Schichten in den Bildungsprozess einbezogen werden. Manche verlangen sogar von der Regierung energische Maßnahmen. Als ob die Kanzlerin nicht Besseres zu tun hätte! Um das Genörgel zum Verstummen zu bringen, schlagen wir eine Perestroika, einen Umbau des Bildungswesen mit weitreichenden Konsequenzen für Staat und Gesellschaft vor: Ein Programm zur Anpassung an die Realität.

Als erstes muss das Wort "Chancengleichheit" aus allen politischen Programmen, Sonntagsreden und Forderungskatalogen verschwinden. Auch die verlogene Formel der Verfassung , nach der alle vor dem Gesetz gleich sind, kann in einem Aufwasch mit den Schäuble-Grundgesetzänderungen rausfliegen. Als neue Formulierung bietet sich "Nur wer kann, der darf auch" an. In der Ausführung des sanierten Verfassungsgrundsatzes sollte der Zugang zur Universität auf Kinder beschränkt sein, deren Eltern mindestens über ein Jahreseinkommen von 100 000 Euro verfügen. Schon jetzt hat sich das Dreigliedrige Schulsystem als Grundlage für eine gewisse soziale Auslese bewährt, es wird deshalb, mit Blick auf die notwendige, weitere Verengung des Hochschulzuganges beibehalten.

Zwar wollten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg unbedingt eine Einheitsschule in Deutschland einführen, da sie ein hierarchisch gegliedertes Schulsystem als mitverantwortlich für die Akzeptanz einer militaristischen und totalitären Herrschaft ansahen. Aber eine solche Gleichmacherei konnte sich nur in der Sowjetisch Besetzten Zone etablieren. In den westlichen Besatzungszonen und den Westsektoren Berlins hingegen siegten die Kultusminister der neu gegründeten Bundesländer und hielten das Dreigliedrige Schulsystem aufrecht. Hier findet sich ein weiteres Argument gegen die Einheits-Schule, die offensichtlich eine Voraussetzung für die Einheitspartei und deren Willkür war.

Der, nach der Einführung einer 100 000-Euro-Grenze, geringer werdenden Zahl von Hochschulabsolventen muss ein Wirtschafts- und Ausbildungsprogramm folgen, das den neuen Chancen gerecht wird. Während qualifizierte Deutschen bisher in Länder wie die Schweiz und Norwegen ausgewandert sind, muss man dem Prekariat auch eine Auswanderungschance einräumen. Wanderprämien könnten jenen Überhang, den wir heute mit nur vier Millionen in der Arbeitslosenstatistik finden, der zukünftig aber kräftig steigen wird, ermuntern, sich auch Ländern wie der Slowakei oder Rumänien zuzuwenden. Es muss ja nicht gleich Madagaskar sein, obwohl man Schiffskapazitäten auch für ferne Ziele bereit stellen sollte.

Ein gewisser Abfluss von ungenutzter Manpower könnte auch das Straßenbild rund um die Hauptbahnhöfe deutlich verbessern: Bettler und Trinker sind in anderen Ländern besser aufgehoben. Da man nicht davon ausgehen darf, dass alle, die es betrifft sofort freiwillig gehen, sollte mit einem neunen Gesetz zum Höchstlohn, man kann durchaus an eine Drei-Euro-Obergrenze denken, den Unwilligen Beine gemacht werden. Schon in den zwei letzten Klassen der Hauptschule könnte eine sinnvolle Trennung in A-Kinder und S-Kinder erfolgen. Die A(uswanderungs)-Kinder, deren Status mit einem geschmackvollen Aufnäher gekennzeichnet werden sollte, gehören dann zu jener Gruppe, die sich freiwillig in die Auswanderungs-Camps begibt. Die S(ervice)-Kinder dürfen in Berufen wie Call-Center-Speaker, Hair-Stylist, Generation-Nurse oder BigMacServer, eine gesicherte Karriere als Drei-Euro-Kräfte erwarten.

Die bisherige Vielfalt an den deutschen Hochschulen hat nur zur Verwirrung geführt. Deshalb werden die unübersichtlichen Studiengänge unter dem Kampagnen-Namen "Change Reality - Give Vision a Chance" zusammengeführt und vereinfacht. In Zukunft wird es nur noch drei Studiengänge geben. Aus den "Entertainment-Mix-Studies" bezieht das Land künftig seine Politiker ebenso wie seine Medienleute und Werbefuzzis. Erlernt wird besonders glattes Lügen, allgemeines Schönen der Wirklichkeit und schnellstmögliche Wortverdrehung. Auf die Absolventen der "Crazy-Culture-Studies" warten zwei Berufe: Die einen werden bildende Künstler, die anderen Galeristen. Welcher Student was wird, das wird ausgelost. Die höchste aller Künste wird im Fach "Worth, Wealth & Value" gelehrt werden. Die Studenten dieser Richtung können Fondsmanager, Immobilien- oder Aktien-Dealer werden. Wer sein Studium mit dem Prädikat "vertigo", früher unter "summa cum laude" bekannt, abgeschlossen hat, kann sogar zum Global-Player aufsteigen.

Dem auf allen Ebenen dreigliedrigen Bildungssystem wird das künftige Drei-Klassen-Wahlrecht entsprechen. Wer nichts anderes als einen Hauptschulabschluss vorweisen kann, wird nie wieder wählen müssen. Wer über ein Abitur verfügt, muss sich der Mühe einer politischen Wahl nur noch jedes zweite Mal unterziehen. Die Absolventen einer der drei Studiengänge nehmen die Last auf sich, jedes Mal wählen zu müssen. Wer mit dem Prädikat "vertigo" ausgezeichnet wurde, der wird gewählt. Dieses gross angelegte Anpassungsprogramm wird auch die Regierung entlasten. Statt wie bisher mindestens einmal im Monat irgendeine internationale Bändigungsnummer mit zweifelhaftem Ausgang zu absolvieren, um das Publikum des Zirkus Deutschland bei Laune zu halten, kann sich Direktor Merkel künftig ihrem Fotoalbum widmen: Sie immer in der Mitte und rundherum fremde Männer. Das unterstreicht die Rolle Deutschlands als Mittelpunkt der Welt und wird späterhin Wahlen völlig überflüssig machen. Denn so wie Studienplätze zunehmend erblich sein werden, so sollte es auch mit den höchsten Ämtern im Staate sein. Wie schade, dass Frau Merkel bisher kinderlos ist.

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