Aus allen Geräten dröhnt die Vuvuzela. Hatte man vor der Fußballweltmeisterschaft gedacht, die Südafrikaner seien ein musikalisches Volk, ist man nun eines Besseren belehrt: Sie tröten, bis auch das letzte Trommelfell geplatzt ist und der Atem keinen Zug mehr hat. Verendeten Elefanten gleich klingt es aus dem Fernseher, dem Radio geht es auch nicht besser. Wo früher Sympathie und Solidarität herrschten, herrscht man nun den Gerätebesitzer an: Kannst Du das jetzt mal leiser machen?! Und während die Nationen den Rasen treten, wird der Hörer rasend. Kein Ende des Dauerdröhnens ist in Hörweite, nur Drohnen sind schlimmer. Und doch gibt es auch Musik bei dieser WM.

Nahezu unbemerkt ist neben das Ballgetrete ein anderer Wettbewerb getreten: Der Hymnen-Cup, die Konkurrenz der Nationalhymnen. Falls der HERR (wenn es ihn denn gäbe) dem Gesinge zuhören würde, bekäme er was zu tun: Allein neun der zweiunddreissig Nationen der WM erwarten von ihm Großes: Er soll das jeweilige Land segnen oder beschützen, manchmal ist es auch nur das Staatsoberhaupt, wie im Text der englischen Hymne, das gesegnet oder beschützt werden soll. Die Engländer liegen punktgleich bei der Anrufung des HERRN mit den Neuseeländern, die den Begriff "Gott" ebenfalls viermal im Refrain verwenden. Nur die fleißigen Schweizer leiten aus ihrer Gottesnähe einen Imperativ ab: Betet, freie Schweizer, betet, singen sie und attestieren sich selbst eine "fromme Seele".

Mehr als zehn mal wird in den Liedern der Nationen gehauen, gestochen und gestorben. Insbesondere die Lateinamerikaner haben es mit dem Tod: In Uruguay kennen sie nur "Ehre oder Tod", die Chilenen sorgen sich um "das Grab der Freien", für die Sänger aus Paraguay ist die Alternative "Republik oder Tod", die Argentinier "schwören glorreich zu sterben" und die Mexikaner singen von Kriegsgeschrei und Donnergrollen der Kanonen. Dass die Franzosen ihre Kinder unbedingt zu den Waffen rufen wollen, um das "unreine Blut" auf die Äcker laufen zu lassen, wußte man schon. Aber dass die immerhin schon im September 1814 gedichtete Nationalhymne der USA mit der Zeile "Und der Raketen roter Schein, das Bersten der Bomben in der Luft bewiesen die Nacht hindurch, dass unsere Flagge noch da war" einen so deutlichen Vorgriff auf die Aggressivität der USA enthält, ist doch überraschend.

Am BILD-WM-Telefon durfte Franz Beckenbauer seine Meinung zur deutschen Hymne sagen: Sie soll gesungen werden! Das zielte unverhohlen auf jene Spieler in der deutschen Mannschaft, deren migrantischer Hintergrund das Singen des deutschen National-Liedes erschwert. Die Jungens haben natürlich aktuell auch inhaltlich recht. Wo bitte gibt es in der schwarz-gelben Koalition "Einigkeit"? Und "Recht" bekommen bisher nur die deutlich Besserverdienenden, während die "Freiheit" im deutschen Vaterland innerhalb der Regierung als ein Hier-kann-jeder-machen-was-er-will interpretiert wird. Dass der Deutschen Vaterland "blühen" solle, ist spätestens seit Kohls blühenden Landschaften nur noch ironisch zu verwenden und der "Glanz des Glückes" ist eine Verheissung, an die der Normalverdiener, erst recht der Hartz-Vierer nicht glauben kann. Diese Hymne zu singen, kommt also mehreren Eigentoren gleich.

Die Spanier, lange Zeit mit einer Hymne ohne Worte begabt, lassen sich seit 2007 auf einen rekordverdächtigen Text ein: Sie wollen zwar mit "verschiedenen Stimmen" singen aber nur mit "einem einzigen Herzen". Schon dass einer mit dem Herzen singt und nicht mit dem Mund, den Stimmbändern oder ähnlichem, ist großartig, dass dies dann aber noch mehrstimmig von statten geht, das bringt nur der amtierende Europameister. Nahezu alle Lieder preisen das jeweilige Land, rufen es zum Kampf auf oder bitten den lieben Gott um diesen oder jenen Gefallen für die eigene Nation. Nur eine einzige Hymne wendet sich friedlich auch den anderen Völkern zu: Die von Slowenien. Dieses kleine Land wünscht, dass "unter dieser Sonne, die Welt dem alten Streit entsagt", ruft aus "Es leben alle Völker" und fordert die Freiheit nicht nur für sich, sondern für alle anderen auch, um dann zu wünschen, dass "jedermann, nicht Feind" sei, "nur Nachbar mehr fortan." Dafür sollten die Slowenen den WM-Titel im Singen erhalten. Um erhört zu werden, müssten sie allerdings erst gehört werden. Dazu müssten die Südafrikaner erst das Tröten einstellen, die Amerikaner die Raketen abbauen und die Deutschen mit ihrem "Streben" in Afghanistan aufhören. Das wird wohl so schnell nix werden.