Hinter einem Vorhang von schwarz-rot-goldenen Fahnen geht das wirkliche Leben weiter. Während die Deutschen noch ihre Mannschaft bejubeln, bejubelt Benjamin Netanjahu bei seinem Besuch in den USA deren Präsidenten. Hatte man eine geraume Zeit die leise Hoffnung, mit Obama säße jemand im weißen Haus, der den Nahostkonflikt entschärfen wolle, der die ökonomische und militärische Macht der USA als Druckmittel gegen die autistische Regierung in Tel Aviv einsetzen würde, ist jetzt alles wieder wie früher: "Ich glaube," erklärte Obama bei seiner jüngsten Pressekonferenz, "Premier Netanjahu will Frieden. Ich glaube, er ist bereit, für den Frieden Risiken einzugehen."
Nach Meinung der israelischen Öffentlichkeit ist Netanjahu schon ein tolles Risiko eingegangen: Seit der blutigen Auseinandersetzung um den türkischen Blockadebrecher, der die hungernde Bevölkerung im Gazastreifen mit Nachschub versorgen wollte, hat die israelische Regierung die Abriegelung gelockert: Milchpulver, Kekse und Dosenfrüchte dürfen wieder ungehindert in das eingeschlossene Gebiet. Da das Embargo gegen die Palästinenser immer mit der Bekämpfung der Hamas begründet wurde, fragen sich Beobachter des Konfliktes, ob die Hamas ihre Raketen mit Milchpulver antreibt, die Kekse als Armierung für Fahrzeuge genutzt und mit den Dosen israelische Grenzsoldaten beworfen wurden.
Solche Fragen werden in den israelischen Medien nicht aufgeworfen. Statt dessen findet sich in der Tageszeitung "Haaretz" eine Umfrage, nach der 27 Prozent der Befragten den US-Präsidenten für einen Antisemiten halten. Denn noch vor wenigen Wochen war die Position der USA unmissverständlich: Sie forderten den Stop des israelischen Siedlungsbaus , vor allem in Ost-Jerusalem, und sie schlossen sich der Forderung einer UN-Konferenz an, den Nahen Osten zur atomwaffenfreien Zone zu machen. Israel hätte seine etwa 100 Atomsprengköpfe abbauen sollen. Wer so etwas fordert, wird blitzschnell zum Antisemiten. Angesichts einer solch bedrohlichen Keule knickte Obama ein: Seiner Meinung nach muss Israel nun doch nicht dem Atomwaffensperrvertrag beitreten.
Schon im Wahlkampf hatte Obama ein "ungeteiltes" Jerusalem gefordert und dem Iran mit "grenzenlosen" Massnahmen gegen dessen Atomprogramm gedroht. Zu dieser seltsamen, die Lage im Nahen Osten verkennenden Position ist der Präsident zurückgekehrt, wenn er jetzt die "einzigartigen Sicherheitsanforderungen" Israels betont und versichert, die USA würden von Israel "nie Schritte verlangen, die seine Sicherheitsinteressen untergraben". Dass die Regierung Natanjahu mit ihrer aggressiven Siedlungs- und Militärpolitik die Sicherheitsinteressen der ganzen Welt bedroht, scheint dem Präsidenten entgangen zu sein.
"Thank you, Mr. President, thank you, thank you", wusste der beglückte israelische Ministerpräsident nur noch zu sagen, als ihm auch noch eine internationale Untersuchung des Überfalls auf den Gaza-Blockadebrecher in internationalen Gewässern erlassen wurde. Die aktuelle Regierung der USA scheint sich in ihrer Nahost-Politik der alten Bush-Strategie anzunähern, die mit ihrer brutalen Einfalt dem Terror jeden erdenklichen Vorwand lieferte und so die Welt ein schlechtes Stück unsicherer gemacht hatte. Die geringen Hoffnungen auf kleine Schritte zum Frieden im Nahen Osten sind zerstoben. Wenn Natanjahu sich freut, lacht der Terror.