Als der junge Menachem Begin 1946 den Sprengstoffanschlag auf das King David Hotel in Jerusalem organisierte, bei dem 91 Menschen starben, konnte er kaum ahnen, dass er Jahrzehnte später Ministerpräsident des Staates Israel werden würde. Auch von Gerry Adams, der in den 70er Jahren von der englischen Polizei wegen Terrorismus gesucht und inhaftiert wurde, hätte damals niemand angenommen, dass der irisch-englische Friedensprozess wesentlich von ihm inspiriert sein würde. Natürlich wurde der junge Abd al-Aziz Bouteflika in den 50er Jahren von der französischen Armee als Terrorist verfolgt. Er war Mitglied der algerischen Befreiungsfront. Heute ist der Mann Präsident Algeriens. Wenn in den kommenden Monaten und Jahren die Verhandlungen mit den Taliban den Abzug ausländischer Truppen einleiten, wird keiner der westlichen Unterhändler den Vertreter der Gegenpartei mit "Herr Terrorist" anreden. Was Terrorismus ist und was als gerechter Kampf gilt, das bestimmen die politischen Umstände.
Die deutschen Anti-Terror-Gesetze sollen mal wieder verlängert werden. Sie wurden nach den Anschlägen des 11. September 2001 hastig zusammengeschustert und ihre politische Ursache ist nicht zuletzt im Afghanistankrieg zu finden. Sie werden also zumindest so lange gelten, wie deutsche Truppen in Afghanistan bleiben. Aber vielleicht werden die Soldaten, nach ihrer Flucht aus Kundus und Kabul, nach Libyen verlegt. Dann könnten die Gesetze - weil es wahrscheinlich Libyer geben wird, die deutsche Truppen nicht mögen - zur Abwehr libyscher Terroristen einfach weiter gelten. Die alten deutschen Anti-Terrorgesetze, die 1976 zur Verfolgung der RAF erlassen wurden, haben die RAF überlebt: Mit Hilfe dieser immer noch gültigen Deformation der Verfassung, wurde noch 2007 der Sozialwissenschaftler Andrej Holm - dessen schweres Verbrechen darin bestand, den Begriff "Gentrification" verwandt zu haben - verhaftet. Zuvor wurde er monatelang observiert. Auf der Grundlage des §129a StGB (einst für die RAF geschaffen), wurden seine Telefonate abgehört, seine Freunde und seine Familie bespitzelt, wurden Tausende von Daten gesammelt.
Eine gute Million Handy-Daten sammelte die sächsische Polizei im Februar dieses Jahres als Tausende Bürger gegen Neonazis demonstrierten. Sachsens Innenminister erklärte diese verfassungswidrige Verfolgung für "grundsätzlich rechtmäßig und verhältnismäßig". Denn man habe vermutet, dass es sich bei der Anti-Nazi-Aktion um die "Bildung einer kriminellen Vereinigung" handeln könne, und die sei eben nach dem RAF-Paragraphen 129a des Strafgesetzbuches entsprechend zu verfolgen. Es gibt Gesetze, die haben kein Verfallsdatum. - Den Anti-Terrorgesetzen von 2001 verdanken wir auch das Sicherheitsballett in den Flughäfen: Schuhe in einer Hand, Gürtel zwischen den Zähnen, mit der anderen Hand muss der Laptop ausbalanciert werden. Das ist zwar lästig, aber doch die relativ harmlose Auswirkung des zehn Jahre alten Gesetzes.
Alles andere als harmlos ist der freie Zugang des sogenannten Verfassungschutzes, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes zu den Kreditinstituten und den Post- und Kommunikationsdienstleistern. Ohne richterliche Kontrolle darf das Innenministerium auf Handys, Rechner und Bankdaten zugreifen. Der Bespitzelte wird davon vielleicht nach Jahren erfahren. Nie erfahren wird einer, der nicht eingestellt worden ist, weil seine Überprüfung durch die Geheimdienste irgendwelche Bedenken ausgelöst haben, warum er den Job nicht bekam: Zwischen 2007 und 2009 sind immerhin 64.426 Menschen derart überprüft worden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt, aber eine interessante Lücke gelassen: Die Speicherung auf Vorrat kann "ausnahmsweise zulässig" sein. Ob die Daten im Fall Andrej Holm wohl "ausnahmsweise" weiter gespeichert sind, das wird der Mann nie erfahren: Denn das unterliegt natürlich der Geheimhaltung.
Während also demnächst die Herren Taliban mit den Friedensbotschaftern der NATO an einem Tisch sitzen, werden Bundesbürger weiter verfolgt. Natürlich nur, wenn sie sich verdächtig machen: Durch einen islamischen Namen zum Beispiel. Oder weil sie jemanden kennen, der einen islamischen Namen hat. Oder einfach aus Routine. Wie zum Beispiel auf den Flughäfen. Denn die politischen Feinde der jeweiligen Regierung können sich, siehe oben, ändern. Der Hauptfeind der Regierung, der Bürger, bleibt weiter ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Er könnte ja auf falsche Gedanken kommen. Als da wären: Nicht mehr Banken retten zu wollen, andere Parteien zu wählen als die staatsfrommen, oder sich sogar der Ausspähung durch die Geheimdienste zu verweigern. Die Erzeugung von Angst vor dem Terror mündet so in den Terror der Gesetze.