Wer Nachrichten über den Weltfinanzgipfel sieht, hört, liest, dem wird sofort eine Wort-Inflation auffallen: Die Sätze auch der ernsthaften Kommentatoren beginnen oder enden nahezu alle mit den Worten "soll" oder "werden". Und keiner kichert. Obwohl man weiß, dass eine saubere Bilanz aus Soll und Haben besteht: Was reinkommt, was man hat, das wird auf der Haben-Seite verbucht, was man ausgibt, was man schuldet, das erscheint auf der Soll-Seite. Insofern haben wir es mit einem Konjunktiv-Gipfel zu tun, einem Sollte-Würde-Treffen, dessen Hauptzweck der Sedierung der Öffentlichkeit dient und natürlich auch der Selbstvergewisserung: Haben wir etwas zu sagen, sind wir die Chefs, können wir was entscheiden? Offenkundig nein.

Schon im Vorschläge-Paket der Frau Merkel, mit dem die Kanzlerin zum Gipfel nach Washington reiste, findet sich eine Ansammlung von Beliebigkeiten. Sorgsam ausgewählt allerdings war der Mann, der ihr die Wunschliste zusammengeschrieben hatte: Otmar Issing, der unter anderem International Advisor der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs ist. Schon dass der Berater einer Investmentbank, ein Lobbyist der Schuldenmacher und Spekulanten, als Sachverständiger auftauchen darf, entbehrt nicht der Ironie. Dass er aber außerdem von einer Bank kommt, deren Gewinne gerade um 71 Prozent eingebrochen sind und die brenzlig nach der nächsten Pleite riecht, spricht für einen besonderen Geschmack. Aber so ist die Merkel, von nix `ne Ahnung und dann mit sicherer Hand die falschen Berater wählen.

In den deutschen Vorschlägen, die denen anderer Regierung ziemlich ähnlich sahen und deshalb auch den Sollte-Würde-Hätte-Kern der möglichen Maßnahmen bilden, sind so originelle Einfälle, wie jener, den Internationalen Währungsfonds (IWF) als Wächter über die Finanzmärkte zu setzen. Was der IWF in den letzten Jahrzehnten wirklich gut konnte, war Pleiten in den Schwellenländern organisieren und brachial jene Ideen über den Markt durchsetzen, die letztlich zur jetzigen Weltwirtschaftskrise geführt haben: Der Markt regelt alles, der Staat ist blöde, Privatisierung ist das Allheilmittel. So wird in fröhlichem Wahnsinn der Brandstifter zum Feuerwehrmann befördert.

Dass Angela Merkel den Weltfinanzgipfel in Washington schon vor seinem Abschluss als Erfolg und als Beleg für die Handlungsfähigkeit der Weltgemeinschaft wertete (Reuters), beweist nichts anderes als die Weitsicht der berühmten Welt-Ökonomin, die natürlich auch sicher sein kann, was in den nächsten sechs Monaten geschieht. Denn das ist ein weiterer Witz dieses Gipfels: Er vertagte sich sich auf eine nächste Konferenz, die in einem halben Jahr stattfinden soll. Und dann soll sie oder wird sie wahrscheinlich irgendwie etwas bewirken.

Doch die wahrhaft größte Tat des Gipfels liegt in seiner verblüffend neuen Sicht auf die Grundlagen der Ökonomie: Zwar weiß man von Schulden, aber von Schuldigen weiß man nichts. Anders als der übliche Bank-Schuldner, der mit ein paar Tausendern namentlich registriert ist und haftbar gemacht werden kann, sind die Großverbrenner von Volksvermögen, die Trillionen-Werfer und Billionen-Verschleuderer scheinbar unbekannt. Und anders als bei jedem ordentlichen Verfahren, bei dem nicht nur die Schuldigen Namen erhalten sondern auch bestraft werden, fielen dem Weltfinanzgipfel keine Verantwortlichen für die Krise ein. Und wo keine Schuldigen, da auch keine Richter.

Ganz gewiss wußte jeder der Teilnehmer, wie auch die restlichen Spatzen auf den Bankdächern, wer der Hauptschuldige an der Misere ist: Die USA. Ein Land, dass seit Jahren 50 Prozent mehr Waren einführt als es ausführt, ein Land das hoch verschuldet ist und seine Schulden, wenn überhaupt, mit zunehmend wertloserem Papier bezahlt, dass dieses Aussenhandelsgebaren des faulen Kredits auf seine Binnenwirtschaft ausdehnte, ein solches Land hätte nur als Zeuge und in Handschellen bei einer ernstzunehmenden Finanzkonferenz teilnehmen dürfen.

So wird dann weiter ein falsch bewerteter Dollar die Weltwirtschaft bestimmen, so wird weiter der Ölpreis in Dollar festgesetzt und damit die wichtigste Ressource der Weltwirtschaft in der Hand des größten Schuldners bleiben. Auch die zukünftigen Kriege sind mit der vorgetäuschten Blindheit der Finanzgipfel-Teilnehmer vorgezeichnet: Jedes Land ( wie der Irak, der Iran oder Venezuela), das mit dem Gedanken spielt den Dollar beim Handel mit ÖL gegen den Euro zu wechseln, darf mit der US-Armee rechnen. Und während die internationalen Rackets sonst zum Schuldeneintreiben benutzt werden, hat die US-Schlägetruppe die Aufgabe, die Gläubiger zu verprügeln. Ganz sicher wird Frau Merkel diese originelle Umkehrung der Schutzgeld-Erpressung einer nächsten Konferenz als Erfolg und Beleg für Handlungsfähigkeit preisen.