Tag für Tag: E-Mail-Botschaften für Gauck im elektronischen Postkasten, Reden des Gauck im Fernsehen, Bitten an Veranstaltungen für und mit Gauck teilzunehmen. Es gibt eine Organisation namens "Demos für Gauck", die beachtliche fünfzehn Demonstrationen, in Marburg, München oder Rostock organisiert hat und unter der Überschrift "How to Gauck" praktische Hinweise zum Ablauf der Demonstrationen gibt. Das Netz ist voller Gauckismen, die Web-Motoren "Facebook" und "StudiVZ" sind von ihnen überschwemmt. Was der Kandidat davon hält, schreibt er auf seiner eigenen Web-Site über sich: "Petition für Gauck: Eine historisch richtige Entscheidung". Das sollte man wirklich nicht mehr kommentieren müssen.
Weil es aber so viele kluge und nicht selten auch nette Leute gibt, die unter den diversen Pro-Gauck-Aufrufen stehen, wird man an die Bundespräsidentenwahl von 1994 erinnern müssen. Neben dem späteren Wahlgewinner Roman Herzog traten für die SPD Johannes Rau, für die FDP Hildegard Hamm-Brücher und für die GRÜNEN Jens Reich an. Die beiden letzteren fraglos mutige und selbständig denkende Menschen, die durchaus das Prädikat Bürgerrechtler verdient hätten. Und die Lage der Deutschen, kaum vier Jahre nach der Einheit und im vollen Bewusstsein, dass sie nicht gelungen war, hätte durchaus eine Kandidatin, einen Kandidaten verlangt, bei denen der Lebensweg Ausweis für das Zusammenführen der Deutschen hätte sein können.
Hildegard Hamm-Brücher, die 1921 geboren wurde, hatte eine jüdische Großmutter. Was das für ein Kind, das 1937 das exklusive Internat Salem besuchte, bedeutete, war klar: Sie flog aus "rassischen Gründen" raus. Als die FDP 1982 aus der Koalition mit der SPD in eine Koalition mit der CDU wechselte und so den Kanzler Kohl ermöglichte, kritisierte Hamm-Brücher diesen Schritt in einer beachtlichen Rede als: " . . . einen Machtwechsel ohne Wählervotum". Auch die Amnestie für die Steuerhinterzieher wg. Flick, Lambsdorff und Brauchitsch, wurde gegen ihre Stimme im Bundestag durchgesetzt. Hamm-Brücher sollte später die FDP verlassen, um gegen den Antisemitismus des damaligen stellvertretenden Bundesvorsitzenden Möllemann zu protestieren.
Der Kandidat Jens Reich kam aus dem Osten und wurde als Redner auf der Großdemonstration 1989 am Alex bekannt. Viel länger schon arbeitete er an einer anderen DDR. So, als er 1970 seinen "Freitagskreis" gründete, der sich kritisch mit dem Staat auseinandersetze. Es war nur logisch, dass Reich einer der Erstunterzeichner der oppositionellen Bewegung "Neues Forum" war. Die SPD hätte also, neben Johannes Rau, zwei andere Kandidaten zur Auswahl gehabt. Denn in einem Bündnis mit der FDP und den GRÜNEN wäre es durchaus möglich gewesen, den CSU-Mann Herzog zu schlagen. Dann allerdings hätte man den Kandidaten der eigenen Partei zurückziehen müssen und sich auf einen gemeinsamen einigen. Dass es anders kam, machten damals nicht wenige Sozialdemokraten ihrem Chef Rudolf Scharping zum Vorwurf. Einem Mann, der Politik gern als Trickserei verstand.
Für die Bundespräsidentenwahl dieses Jahres, hätte die SPD sogar aus der eigenen Partei, mit dem ausgewiesenen Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer, einen exzellenten Kandidaten nominieren können. Schon 1989 protestierte der Theologie-Student gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR. Von dem jungen Pfarrer stammte die Idee, öffentlich Schwerter zu Pflugscharen zu schmieden. Seit den siebziger Jahren war er Mitglied der Friedens- und Umweltbewegung in der DDR. Nur logisch, dass er 1989 zu den Unterzeichnern des Aufrufs "Für unser Land" gehörte.
Auch im vereinten Deutschland blieb der Sozialdemokrat Schorlemmer ein Bürgerrechtler, einer, der sich für das gute Recht der Bürger einsetzte. Er gehört zu den Gegnern der Kriege im Irak und in Afghanistan, ist Mitglied der antiglobalistischen Bewegung "attac" und fordert, angesichts einer verharzten Republik, dass die im Grundgesetz verankerte Sozialverpflichtung des Eigentums endlich mit Leben erfüllt wird. Er hätte, wenn es SPD und GRÜNE mit einer Kandidatur gegen Wulf ernst meinten, durchaus Chancen gehabt, die Stimmen der Linkspartei und mancher Wahlmenschen anderer Parteien aus dem Osten zu bekommen. Er wäre ebenso inhaltlich wie wahlarithmetisch eine echte Alternative gewesen. Der Kandidat Schorlemmer hätte eine politische Wende bedeutet. Aber darum geht es ja gar nicht.
Der kleine Gabriel will einen großen Trick machen und der lange Trittin einen kurzen Witz erzählen. Denn Gauck wird nicht gewählt werden. Weil die Wahl von Gauck das Ende des schwarz-gelben Projektes bedeuten würde. Weil Frau Merkel und Herr Westerwelle ihre Jobs verlören. Deshalb werden die Wahl-Männer und -Frauen der Koalition, die ja auch gern weiter an der Futterkrippe sitzen wollen, den Kandidaten Wulf wählen. Und draussen, vor der Tür des rot-grünen Illusions-Theaters, stehen dann die vielen netten und eigentlich klugen Leute, die sich so heftig für Joachim Gauck eingesetzt haben, den Mann aus der Polit-Kirmes. Der nichts ist als ein Schwindel.