Noch taumelte die Europäische Union zwischen Flüchtlingsfragen und Grenzsicherung zerstritten umher, da machte sie im Dezember des letzten Jahres eine neue Problemfront auf: Demnächst soll die Visumspflicht für die Bürger Georgiens aufgehoben werden. Zwar hat das Land nur wenig mehr Einwohner als Berlin, aber seine inneren Dauerkonflikte, sein latenter Streit mit Russland und seine Rolle als Ausgangspunkt einer strategisch bedeutenden Energie-Linie, der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline, prädestinieren es zum internationalen Konfliktfeld. Jetzt also der manifeste Einstieg der EU in den Machtpoker um Gas, Öl und Militärpräsenz am Schwarzen Meer, dem Meer, das Russlands maritime Flanke bildet und der NATO schon länger als ein beliebtes Provokations-Manöver-Gewässer dient.

Als habe man aus dem Ukraine-Krieg, der die EU beinahe in einen Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland verwickelt hätte, nichts, aber auch gar nichts gelernt: Erst kommt die Aufhebung der Visumspflicht, dann wird der Freihandel angeheizt, am Horizont winkt später eine EU-Vollmitgliedschaft, immer schön begleitet von der Frage, wann denn die NATO ihren Einfluss im Kaukasus ausbauen und Russland weiter einkreisen wird. Denn neben den schönen Profiten aus der Rohstoffförderung und dem Energie-Handel, die dort zu erzielen sind, ist Georgien ein verlockender Stern auf den Schulterstücken der Nato-Generalität. Auch deshalb hat NATO-Generalsekretär Stoltenberg dort im August des letzten Jahres ein gemeinsames Militärtrainingszentrum in der Nähe der georgischen Hauptstadt Tiflis eröffnet.

Das bitterarme Georgien ist reich an militärischem Zündstoff: Der vormalige Präsident Saakaschwili revitalisierte 2006 das obskure Militärbündnis GUAM (Georgien, Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien) und rüstete sein Land massiv auf: Das Militärbudget versechsfachte sich in einer Zeit, in der es bei den Normal-Georgiern hinten und vorne nicht reichte. Schon im März 2003 ratifizierte das georgische Parlament ein Militärabkommen, das den USA die uneingeschränkte Nutzung Georgiens erlaubt. Zeitgleich richtete die westliche Führungsmacht einen Stützpunkt ein und übernahm die Ausbildung der georgischen Armee. Im März des vergangenen Jahres wurde mit der Waffen-Übung "Noble Partner" eine gemeinsame Übung mit mechanisierten Infanterie-Einheiten aus den USA in den georgischen Boden gestampft und so die Landseite der 310 Kilometer langen Küste Georgiens am Schwarzen Meer amerikanisiert.

Seit die von Joschka Fischer lobbyisierte Nabucco-Pipeline gescheitert ist, gewinnt die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline, vom aserbaidschanischen Baku ausgehend und im türkischen Ceyhan mündend, zunehmend an Bedeutung: Sie soll dem Westen einen direkten Zugriff auf die Energieressourcen des kaspischen Raumes sichern: Unter Umgehung russischen Territoriums versteht sich. Zwar propagiert der Westen aus vollem Hals und ständig den Freihandel aller Art, aber ein freier Handel an dem Russland beteiligt ist, geht den Strategen in Washington doch zu weit. Angeblich belebt Konkurrenz, nach der offiziellen Ideologie der Marktgläubigkeit, das Geschäft. Aber den russischen Mitbewerber auf dem Rohstoffmarkt sähe man lieber tot: Leichen kann man einfach besser fleddern.

Weil in der marktförmigen Welt die Konkurrenzen gern militärisch aufgeladen werden, formieren Georgien, Aserbaidschan und die Türkei eine Militärallianz zum Schutz der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline. Die georgische Regierung hat deshalb eine Sondereinheit gebildet, die von US-amerikanischen Instrukteuren trainiert wurde. Die US-Amerikaner wollen die Pipeline zusätzlich mit Drohnen vom Typ Global Hawk überwachen, um „terroristische Anschläge“ zu verhindern. So könnten demnächst, vom deutschen US-Stützpunkt in Rammstein aus, auch „Terroristen“ in Georgien oder der Türkei liquidiert werden: Offenkundig gibt es für die US-Armee immer noch zu wenig „Kampf gegen den Terror“, der fraglos sowohl zum militärischen Beschäftigungs-Programm wie zum Welt-Beherrschungs-Programm geworden ist.

Nun ist also die Neu-Aufführung des Kiewer Dramas geplant: Die EU mischt sich in einen schwelenden US-Russland-Konflikt auf Seite der USA ein. Keineswegs um den drohenden Brand zu löschen, sondern um in Perspektive die NATO als Feuerwehr mit der Benzin-Spritze einzubringen. So wie man von Kiew aus Moskau treffen wollte, so will man jetzt Tiflis als Abschussrampe gegen Russland einsetzen. Und die deutsche Regierung? Die wartet augenscheinlich auf die nächsten Kriegsflüchtlinge, an deren Herstellung sie tapfer mitarbeitet.