Wer keine religiösen Gefühle hat, der kann auch nicht mit religiösen Karikaturen beleidigt werden. Deutschland ist, trotz vieler Mitglieder unterschiedlicher Kirchen, kein sonderlich religiöses Land. Aber was würden die Bischöfe und Kardinäle sagen, wenn Jesus in der Bild-Zeitung beim Knutschen mit seinem Lieblingsjünger Johannes gezeigt würde? Wäre die Zeichnung eines Papstes denkbar, der lächelnd auf dem ausgemergelten Leib eines Aidskranken sitzt und in dessen Sprechblase steht: "Ausserehelicher Verkehr kommt ganz schön schwer?" Oder was würde einem US-amerikanischen Zeitungsmacher im Bibel-Belt geschehen, der Maria beim Kopulieren mit einer Taube zeigt? Man darf in dieser Gegend immer noch auf Richter Lynch zählen.
Nun gibt es, nachdem eine dänische Zeitung Karikaturen über den Propheten Mohammed, den Religionsstifter des Islam, veröffentlicht hat, eine Welle des Protestes in den islamischen Ländern und eine Front der Verteidigung der Pressefreiheit in Westeuropa. Mich dauern alle Menschen, die eine Religion als Krücke für ihre schlechtes Leben, für ihre Angst vor dem Tod brauchen. Aber ihr Glaube ist ihr Glaube und ich muss mich nicht von ihm befreien, ich kann ihn respektieren. Viele Nordamerikaner erzählen sich Märchen über die Schöpfung: In sechs Tagen sei sie von statten gegangen und der liebe Gott habe das alles ganz alleine bewerkstelligt und der Mensch stehe nicht in einer langen Kette der Entwicklung sondern sei am letzten Tag vom Herrn an die Kette gelegt worden. Solche Geschichten haben etwas Rührendes, solange niemand gezwungen wird sie zu glauben oder nach ihnen zu leben.
Es sind geborene Helden, die sich über Muslime lustig machen. Das gilt ganz besonders für die dänischen Zwerge, die sich, seit sie eine konservative Regierungskoalition mit völkischer Beimischung haben, ihren Einwanderern als germanische Recken darstellen. Die Türken und Araber in unseren europäischen Städten, das wissen wir, sind furchterregend: Sie besitzen die Mehrheit der Medien, verfügen über die Arbeitsplätze und die Parlamente, wer sich mit ihnen anlegt, beweist sein Männlichkeit. Auch dort, wo Muslime herrschen, sind sie übermächtig: Im reichen Palästina, im üppigen Afghanistan und im militärisch extrem bedeutenden Indonesien. Schon deshalb ist jeder, der den Islam verspottet, voller Mut, Geist und Widerstandswillen.
Gemessen an Karikaturen über Mohammed mit einer Bombe im Turban, als habe der Prophet die Terroristen persönlich ausgebildet, wäre eine Zeichnung über Frau Merkel, wie sie die Cowboy-Stiefel von Herrn Busch leckt, einfach billig, da ginge man ja kein Risiko ein. Auch wenn man zu Zeiten Herrn Putin aus dem Arsch des trunkenen Herrn Jelzin lugend abgebildet hätte, wäre das im Vergleich als zu leicht befunden worden. Karikaturen von Herrn Blair, wie er eigenhändig Brandbomben auf kollaterale irakische Frauen und Kinder geworfen hat, gab es ja in jeder beliebigen westeuropäischen Zeitung, dazu brauchte es offensichtlich keine sonderliche Zivilcourage. Gerade deshalb sind die Karikaturen über Mohammed so besonders befreiend: endlich wird Neuland beschritten, endlich erreicht die westliche Zivilisation im Gefolge amerikanischer Truppen das islamische Niemandsland. Oder wohnt dort schon jemand, hat sogar eine eigene Kultur?
Die Mythen der Indianer, nicht weniger naiv als andere Religionen, genießen ein westliches Wohlwollen. Der Buddhismus ist eine modische Notwendigkeit in den Salons der Therapeuten. Der japanische Shintoismus kommt gerade wieder. Päpste, sterbend oder gewählt, vermögen temporäre Taumel auszulösen. Der jeweilige göttliche Wille konnte, je nach Zeit und Lage, für die Betroffenen ganz schön ungemütlich sein. Auch gläubige Kommunisten, nur scheinbar ein Widerspruch, begingen im Kampf gegen die Ungläubigen, die Abweichler, die Feinde, die üblichen religiös motivierten Verbrechen, um die Reinheit der Lehre zu gewährleisten.
Glaube ist nur über Wissen zu ändern. Der Zweifel ist die erste Bewegungsform des Fortschritts. Aufklärung ist nicht mit Beleidigungen zu erzielen. Wer Verhalten ändern will, muss Angebote machen, die verstanden werden.