Das erkennt der Pöbel nicht, der, so gierig er auf Neuigkeiten ist, das Neue höchst verabscheuet, das ihn aus seinem Gleise leiten will und wenn er sich noch so sehr dadurch verbessert.
Goethe, Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand

Wer den Armen nichts nimmt, kann den Reichen nichts geben.
Graffiti, Bitterfeld 1992

Seit einiger Zeit erreichen unsere LeserInnen beunruhigende Nachrichten aus der Hauptstadt. Leider ignoriert die große Politik diese Fakten, denn sie muss sich mit sich selbst beschäftigen und außerdem befinden sich alle gepanzerten Dienstwagen gerade mitsamt ihren Nutzern im Süden. Weil die BILD-Zeitung außer dicken Möpsen nichts enthüllen kann und der SPIEGEL nur noch ein trauriger Schatten seiner selbst ist, muss die RATIONALGALERIE das Sommerloch stopfen.

In Berlin wurden vor einem Monat große Teile des S-Bahnverkehrs unter fadenscheinigen Vorwänden stillgelegt. Als Begründung dient: Eine über 40 Jahre alte Waggonachse made in GDR war defekt. Anscheinend ist es keine gute Idee, den Nahverkehr auf Oldtimer zu basieren, wenn man sie nicht wartet. Dabei müssen wir noch froh sein, dass die Berliner S-Bahn nicht mit den neumodischen Radreifen ausgestattet ist.

Nicht nur die Nutzer der S-Bahn, die endlos auf verspätete und überfüllte Züge warten, sind dadurch sozialem Terror ausgesetzt. Die schuldlosen Bahnbediensteten auf den Bahnhöfen werden von empörten Fahrgästen beschimpft wie ein Bund Flicken. An einsamen Bushaltestellen trifft man auf dehydrierte Ausländer, die sich im Schienenersatzverkehr hoffnungslos verirrt haben. Der Berliner Senat erwägt ernstlich, Berlinbesuchern die Anreise nur noch mit Klappfahrrad zu gestatten.
Zum Ausgleich für dieses Elend sind neulich im Zentrum für schlappe 270 Millionen drei klotzige Stationen einer neuen U-Bahnlinie in Betrieb genommen worden, die frühestens ab 2017 das Regierungsviertel verkehrstechnisch anbinden wird, das die Touristen problemlos in einer Viertelstunde abwandern.

Moooment mal, sagen unsere cleveren LeserInnen, die täglich im Netz surfen und sich mit Verschwörungstheorien bestens auskennen. Da steckt doch mehr dahinter?
Ebent!

Das erklärte Ziel des politischen Establishments in Deutschland besteht gegenwärtig darin, den Arbeitslosen in das sogenannte „prekäre Arbeitsverhältnis“ zu zwingen, in dem er deutlich weniger verdient, als er zu seinem Selbsterhalt benötigt. Im Idealfall arbeitet er für umsonst. Das nannte man noch im Frühkapitalismus Sklaverei. In Zeiten der Globalisierung verwendet man wohl- oder übelklingende Euphemismen wie „Hartz IV“ und „1-Euro-Job“. Der eigentliche Witz besteht darin, dass nicht der Arbeitgeber seinen Sklaven ernährt, sondern der Steuerzahler.

Die berüchtigten Hartz-Erlässe, die den Umbau der sozialen Marktwirtschaft in eine globalisierte (asoziale) Marktwirtschaft vorbereiten, bezwecken die Erhöhung des Leidensdrucks auf die sogenannte P-Gruppe. P steht parteiintern vermutlich für Prekariat (SPD). Andere Lesarten sind Prolos (Die Grünen), Pack (CDU), Pöbel (FDP) und Preußen (CSU). Weniger wahrscheinlich, aber immerhin denkbar sind Proletariat (Die Linke) oder Piraten (Piraten-Partei). Wir präferieren in der RATIONALGALERIE den politisch korrekten Ausdruck „einfache Menschen“.

Da sich die deutsche Politik gegenwärtig außerstande sieht, irgendwelche Jobs zu schaffen, denn alle verfügbaren Mittel der nächsten 100 Jahre wurden gerade an marode Banken verschenkt, soll der einfache Mensch seinen Arbeitsplatz selbst kreieren. Nun ist der einfache Mensch bekanntlich faul, unflexibel und arbeitsscheu. Er ist nicht willens, eine Fabrik zu bauen, einen Fernsehsender zu errichten oder eine Bank zu gründen. Deshalb muss der administrative Druck auf ihn ständig erhöht werden, bis er wenigstens bereit ist, lohnfrei eine unnütze Tätigkeit auszuüben oder auszuwandern.

Darum werden auch auf den Privatsendern zurzeit so viele Auswanderer-Doku-Soaps gezeigt. Denn nur durch das Verschwinden des einfachen Menschen sind in Deutschland die Kranken- und Rentenkassen zu sanieren. Die teuren Nahverkehrsnetze werden überflüssig, die unbeleuchteten Straßen sicherer und nachts gibt es mehr freie Parkbänke für die Pärchen. Aber die Sache hat einen Haken. Wo bleibt die Gerechtigkeit, wenn nur die Kinder der Besitzenden und Besserverdienenden die immense Staatsverschuldung erben? Also ist der einfache Mensch doch nicht ganz überflüssig.

Die Politik lebt vom schlechten Gedächtnis des einfachen Menschen. Er kann sich einfach nichts merken. Deshalb verspricht der Genosse Steinmeier vor der Wahl locker vier Millionen neue Jobs. Es wäre interessant zu erfahren, wie viele Millionen alter Tarifarbeitsplätze dafür abgebaut werden müssten. Oder sind die Geschenke an die HRE etwa noch zu retten?

An Anfang der Demokratie stand das antike Athen, in dem auf einen Demokratie praktizierenden freien Bürger zweckmäßig zwanzig produzierende Sklaven kamen. In der Neuzeit ist man dazu übergegangen, in den westlichen Demokratien auch einfachen Menschen das Stimmrecht einzuräumen. Im Sozialismus war’s bekanntlich noch schlimmer. Dort besaßen nur die einfachen Menschen eine Stimme. Es ist nichts Vernünftiges dabei herausgekommen. Günter Schabowski kann das bezeugen.

Die oberste Maxime des politischen Establishments scheint gegenwärtig zu sein, dem einfachen Menschen den Wahlgang zu vergällen, denn einfache Menschen neigen ohnehin zu Fehlentscheidungen. Dazu wird dem einfachen Menschen suggeriert: Egal, wen du wählst, es ist immer die gleiche Soße. Falls sich was ändert, kann’s nur schlimmer werden. Die oben machen ohnehin, was sie wollen.

Und das ist noch nicht alles, liebe LeserInnen.
Man kann sich kaum vorstellen, welche Summen Jörg Kachelmann geboten werden, damit er am Wahltag schönes Wetter vorhersagt. Aldi setzt rechtzeitig die Preise für Grillwürstchen und Plastikflaschenbier herunter und der einfache Mensch macht sich im Grünen einen Bunten, statt zur Wahl zu gehen.

Wenn demnächst nur noch die Zielgruppen der besserverdienenden SUV-Fahrer und Business-class-Fluggäste zur Wahl schreiten, wird der Weg frei für neue Hartz-Erlässe, die die Knechtschaft des einfachen Menschen weiter zementieren. Die Lahmlegung des S-Bahnverkehrs in der Hauptstadt hat nur als ein erster Großraumtest der Leidensfähigkeit der Minderbemittelten zu gelten. Die Stilllegung der Müllabfuhr (getarnt als Streik) und die Schließung der Kanalisation (natürlich aus ökologischen Gründen) in den östlichen Plattenbau-Außenbezirken Berlins könnten als nächstes angedacht sein.
Wenn der einfache Mensch das aushält, kann man auf den Inneneinsatz der Bundeswehr verzichten.