Unsichtbar wird der Wahnsinn, wenn er genügend große Ausmaße angenommen hat.
Bertolt Brecht

Jetzt auch noch Köhler: Fast alle haben es schon gesagt, warum nicht auch der Bundespräsident: Steuersenkungen sind, nach der Wahl versteht sich, möglich. Der CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagt sogar im Deutschlandfunk, Erbschaftssteuer und Unternehmenssteuer würden "blitzschnell, vielleicht sogar in einem 100-Tage-Programm" gesenkt. Da kracht das Leder und die Balken biegen sich: Die Lohn- und Einkommenssteuer soll nach seinen Worten in zwei Schritten entweder 2011 und 2012 oder 2012 und 2013 gesenkt werden. Oder 3000? Eine Art Steuerblitzkrieg bahnt sich an.

"Steuererhöhungen", sagt die Dame Merkel, "sind jetzt Gift und auch in den nächsten Jahren. Wenn ich Nein sage, ist es Nein", auf die Frage nach der Mehrwertsteuererhöhung. Der CDU-Fraktionschef Volker Kauder legt nach: "Steuererhöhungen jeglicher Art schließen wir aus." Knecht Pofalla weiß ganz sicher: "Steuererhöhungen gibt es mit uns nicht." Die bescheidene FDP denkt an nur 35 Millionen Steuersenkungen. Es ist eine schöne Welt, in der wir nach den Wahlen leben werden, wenn CDU und FDP die Regierung stellen sollten, dann werden Steuern gesenkt werden und Erhöhungen verboten.

Doch auch die SPD (Müntefering: "Opposition ist Mist") denkt ans Regieren nach der Wahl. Und weil sie im letzten Wahlkampf die Erhöhung der Mehrwertsteuer als "Merkelsteuer" beschimpfte, um sie dann, kaum in der Koalition angekommen, gemeinsam mit der Union umzusetzen, scheint sie jetzt eisern und steuergenügsam zu schweigen. Doch leise, sorgsam geölt, öffnet Finanzminister Steinbrück schon mal das Hintertürchen: „Ich schließe nichts ein und schließe nichts aus“, fällt ihm zur Steuererhöhung ein. Bleibt ein Echo, das nach "rein-raus" klingt. Wenn wir rein kommen, in die Regierung, holen wir schon den Steuerknüppel raus.

Im Etat der Bundesregierung fehlen mindesten 86 Milliarden Euro. Wenn Finanz- und Wirtschaftsminister verkünden, die Bürgschaften für diese Bank und jenes Unternehmen seien ja keine Ausgaben, das Geld würde entweder nicht benötigt oder käme doch bald wieder zurück, lügen sie gut zur Hälfte. Denn Bürgschaften werden vergeben, weil sie im Notfall benutzt werden müssen. Da sind dann rund 100 Milliarden Euro für die Hypo Real Estate schnell fällig, schon mehr als das Haushaltloch. Ein paar Peanuts für Quelle, Taschengeld für Opel, neue Milliarden für die IKB: Wenn das alles gezahlt wird, sollte sich das Volk schnell ein anderes Land suchen.

In jedem Wirtschaftsteil der Zeitungen, in jedem Finanzmagazin wird die Inflation beschworen, die uns nach den Wahlen erreichen wird. Denn die Kunden der Fachmedien würden anderen Prognosen kaum glauben und sie würden es ihren Zeitungen schwer verübeln, wenn deren Prognosen so ungenau wären, wie die der Analysten und so verlogen, wie die der Regierung. Und kaum ist das Wort "Inflation" ausgesprochen oder gedruckt, folgt das Wort "Mehrwertsteuer". Alle wissen es, außer der Mehrheit der Wähler.

Jeder kennt Wähler: Leute, die an Sonntagen tapfer ein Kreuz über einen Zettel schlagen. Mancher flüstert Beschwörungen: Lieber Herr, nun wähle ich doch schon seit Jahren meine Partei, einmal könnte sie doch auch was für mich machen. Oder: Lieber Jesus mein, halt die Lügen klein. Doch das sind schon die Fortgeschrittenen. Die Mehrheit ist der Wahlstarre verfallen, einer Schwester der Angststarre. Bekannt ist diese Haltung auch vom Kaninchen: Wenn ich mich jetzt keinen Zentimeter bewege, dann sieht die Schlange mich nicht! Dann kann mich keiner fressen. Aber die Kochtöpfe der Koalitionen stehen schon auf dem Herd.