Jahr für Jahr bekommen Tausende Bürger ein Kreuz. Mal am Band zu tragen, mal am Hals oder Revers, soll es den Menschen, der es trägt, auszeichnen. Seit 1951 wird es in der West-Republik, seit dem Beitritt auch im Osten verliehen. Man schätzt, dass eine Viertelmillion Menschen inzwischen damit bedacht worden sind. Auch wenn es goldig glänzt, ist es doch aus Kupfer, ein Hauch von Gold und Emaille bilden den schönen Schein der Oberfläche. Immer sind es kleine Feierstunden, in denen es verliehen wird. Zumeist ziert ein Landesminister die Ehrung, seltener Bundesminister oder Ministerpräsidenten. Wolf Biermann hat eins, der Österreicher Udo Jürgens, die Sängerin Gisela May und der Focus-Mann Helmut Markwort. Zum Beispiel.
Fast ist es interessanter zu wissen, wer keins hat: Günter Grass muss nackt rumlaufen, der österreichische Bildhauer Hrdlicka hat auch keins, Rolf Hochhuth kann sich nicht schmücken, auch Christa Wolf nicht, selbst Walter Jens, lange Jahre Chef der Akademie der Künste, wurde nicht mit dem Bundesverdienstkreuz belastet. Im Fall Jens muss eine Ablehnung seinerseits vermutet werden: Er ist alt genug, hat sich viele Jahre in der Öffentlichkeit bewegt und war nie auffällig links. Aber halt: Während des zweiten Golfkriegs, 1990, versteckte er einen desertierten US-Soldaten in seinem Haus. Das könnte die Gremien ungünstig gestimmt haben: Der erste Golfkrieg galt öffentlich als eher guter Krieg, da fällt man dem großen Bruder doch nicht in den Rücken.
Was machen Ausgezeichnete mit ihren Kreuzen? Sie werden sie kaum Sonntags zum Waldspaziergang anlegen, aber vielleicht Nachmittags zum Tee: »Tante Hilde bringt sich um vor Neid, ihr Otto hat ja nicht mal die Verdienstmedaille, wir, wir haben das große am Halsband!« Das könnte den Hausdackel auf Ideen bringen. Tragen die Kreuzler es im Theater, oder bei der Bambi-Verleihung, bewahren sie es in alten Seifenschachteln auf oder in Tresoren, hängen sie es sich an die Wand und wenn ja, an welche? Schön wäre auch der Tauschmarkt: Samstag, in der Kneipe "Zum Kreuzweg": »Ich hab eins doppelt«, sagt Franz Beckenbauer, »eins am Band und ein Grosses Verdienstkreuz, für das zweite hätte ich gerne drei kleine, na gut, äähh, zwei tuns auch.« Wer das für wenig wahrscheinlich hält, kann sich bei Ebay eins ersteigern: Höchstens 100 Euro müssen gezahlt werden.
Was mag es wirklich wert sein? Dem »Aufbau des Vaterlandes« sollte es dienen, stand 1951 im Erlass des damaligen Bundespräsidenten Heuss, und der erste, der eins bekam war ein Bergmann: Die Lokomotive des Wirtschaftswunders musste geheizt werden Danach sollte nie wieder ein Bergmann auf der Liste der Ausgezeichneten stehen. Unternehmer waren erstmal an der Reihe: Vom Feuerzeughersteller Zahn über Beate Uhse bis zum verdienten Drogeriemarktgründer Rossmann, sie alle müssen zum »Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland« einen Beitrag geleistet haben, das verlangt der Erlass. Wie sich unter diesem Dach Karl Wilhelm Fricke »Stasi-Entführungsopfer und Journalist« und Kurt Goldstein, ehemaliger Rundfunkchef in der DDR, zusammenfinden, kann man Kurt nicht mehr fragen. Der ist schon gestorben.
Fragen über Fragen bei der Verleihung des Großen Verdienstkreuzes an Otto Schily: Hat er es bekommen, weil er unbeirrt von einer hasserfüllten Öffentlichkeit versucht hat, einigen Angeklagten der RAF einen fairen Prozess zu sichern? Oder hat man es ihm, in seiner Zeit als Innenminister und Rechtsaußen der SPD, in Anerkennung seiner Verdienste in der Ausländerabwehr verliehen?
So ziemlich die höchste Kreuz-Stufe erhielt der US General Wesley Clark, ein Mann, der sich schon im Vietnamkrieg bewährt hatte und der den »sechsspitzigen Bruststern an der Schärpe, Adler maschinengestrickt« wahrscheinlich wegen seiner Verdienste als Oberkommandierender der NATO zur Zeit des Kosovo-Krieges bekommen hat. Wann wird es wohl die erste Afghanistan-Kämpfer-Auszeichnung geben, vielleicht die Sonderstufe des Großkreuzes mit dem handgestickten Adler, und für wen, Merkel, Jung, Fischer, Scharping ? Und wo trägt sie dann Herr Fischer, am Frack oder am Turnschuh?
Wer die Liste der Auserwählten durchblättert, findet primär Politiker. Mein rheinisch-katholischer Großvater pflegte zu sagen: »Wer am Weihwasser sitzt, segnet sich zuerst.« Aber womit mag der hessische Koch sein Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband verdient haben? Wegen seiner prächtigen Schmucknarben vielleicht oder weil Hans Filbinger auch schon eins bekommen hat. Und Strauß und Nobert Lammert und Edmund Stoiber und der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und viele, viele andere, die das Vaterland so tapfer aufgebaut haben. Wegen Tapferkeit muss jüngst der Filmemacher Andreas Dresen ausgezeichnet worden sein. Denn der hat unbewegt der Rede des Brandenburger Ministerpräsidenten, der sein Kreuz schon länger hat, gelauscht und folgenden Satz klaglos ertragen: »Wenn jemand aus der Filmbranche geehrt wird, dann ist das schon etwas ganz Besonderes.«
Falls Sie mit Ihrem Kreuz nichts rechtes anfangen können: Es ist Weihnachten, da freut sich so ein Baum über alles womit er behängt wird.