Ein Jammer, dass Wirtschaftsminister Brüderle nicht jener Ethik-Kommission angehört, die sich mit der moralischen Seite der Atomindustrie beschäftigen soll. Denn nachdem Brüderle das verkündete Atom-Moratorium der Bundeskanzlerin als Wahlkampftaktik entlarvte, wäre er eigentlich berufen, an der Spitze einer Kommission zu stehen, die das "sittliche Verständnis" von Atomkraftwerken untersuchen soll. Brüderle, dessen Sittlichkeitsprobleme sich vor seiner Zeit als Bundesminister eher auf das Küssen von Weinköniginnen bezogen hatten, würde der Kommission jenes Flair geben, das sie verdient: Die Ausstrahlung von Radioaktivität.
Statt Brüderle wird uns als einer der beiden Vorsitzenden der Kommission der angeblich "atomkritische" Klaus Töpfer präsentiert. Töpfer war von 1987 bis 1994 Umweltminister der Regierung Kohl. In seiner Amts-Zeit gingen sieben Atomkraftwerke ans Netz, unter ihnen das heftig umkämpfte AKW- Brokdorf. Von einer Solidaritätsadresse des Bundesumweltministers an die Anti-AKW-Bewegung ist nichts bekannt. Bekannt ist, dass 1988 eine französische Militärmaschine unweit der AKW´s Isar 1 und 2 abstürzte. Wieder war von Töpfer nichts zu hören. Dass in diesen Tagen erneut ein Störfall in Brokdorf gemeldet wird, gehört unbedingt zu Töpfers Vita. Er hatte 1988 die niedersächsische Landesregierung per Weisung gezwungen, den Betrieb des AKW´s wieder aufzunehmen.
Neben dem einen Heiligen der Sitten-Kommission der andere: Matthias Kleiner ist Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Co-Vorsitzender der Atom-Ethik-Gruppe. Er hat nicht nur das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, sondern ist auch Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech). Diese Akademie hatte 2009, im Auftrag der Ministerin Schavan, ein "Konzept für ein integriertes Energieforschungsprogramm" entwickelt, dessen unbestreitbarer Höhepunkt eine fröhliche Empfehlung zum Wiedereinstieg in die atomare Technologie ist: "Ein Wiedereinstieg Deutschlands in die Entwicklung von Kernkraftwerken wäre dann denkbar . . . wenn sich in Deutschland im Verlauf der Zeit die Einsicht durchsetzen sollte, dass die Kernkraft trotz ihrer unbestreitbaren Risiken eine kostengünstige und konsensfähige Grundlast- Stromversorgung ohne CO2-Ausstoß bietet." Diese "Einsicht" vertritt der Präsident von "acatech", Henning Kagermann, schon lange: "Entscheidungen beispielsweise über die Zukunft der Energieversorgung dürfen nicht nach kurzfristigen wahltaktischen Erwägungen gefällt werden." Damit ist ihm ein früher, schöner Brüderle gelungen.
Wahre Leuchttürme der Kommission sind die Herren Jürgen Hambrecht (BASF) und Klaus von Dohnanyi (SPD). Der BASF-Chef ist eine alter Kumpel von Kanzlerin Merkel. Schon im Wahlkampf Merkel gegen Schröder vertrat die spätere Kanzlerin vor laufender Kamera die Interessen des Chemiekonzerns: Sie machte sich für eine liberale Chemikalienrichtlinie stark (die die BASF fordert) und plädierte nachdrücklich für ein wirtschaftsfreundliches Gentechnikgesetz (das die BASF ebenso verlangte). Wie sollte Hambrecht seiner Lobbyistin heute in den Rücken fallen? - Von Dohnanyi ist seit Jahren von Beruf Kronzeuge: Wann immer die deutschen Konservativen einen Zeugen gegen linke Regungen in der SPD brauchen, kommt Dohnanyi aus der Kulisse. Vor den Kulissen der Richtfeste diverser AKW´s konnte man den damaligen Technologieminister der Regierung Brandt gern als Grüß-August beobachten. Dass in die Amtszeit Dohnanyis als Erster Bürgermeister in Hamburg, die stundenlange Einkesselung von Anti-AKW-Demonstranten fiel, hat wahrscheinlich für seine Berufung in die Kommission den Ausschlag gegeben.
Ein "Moratorium", sagt das Lexikon, ist so etwas wie eine Aufschiebung. Dass es sich um einfache Schiebung handelt, sagt uns Brüderle. Doch vielleicht handelt es sich in Wahrheit um ein "Oratorium", das sich vom lateinischen "ora", dem Beten, ableitet. Angesichts der vielen Kirchenleute in der Kommission - ein evangelischer Bischof, ein katholischer Erzbischof und der Präsident des Deutschen Katholikentages gehören zu den Mitgliedern - ist vielleicht an ein kollektives Gesundbeten der AKW-Debatte gedacht. Der weiße Rauch über Fukushima kündet allerdings nicht von der Wahl eines Papstes, sondern davon, dass der Ausstieg aus der Atomindustrie keinen Aufschub duldet.