Helmut Markwort, früher als King-Gong bekannt, als er noch Chefredakteur der Programmzeitung "Gong" war, wird siebzig Jahre alt. Heute erklärt der letzte Langhaarige unter den Chefredakteuren, dass ihm nur noch "Fakten, Fakten, Fakten" wichtig sind, zumindest dann, wenn er im TV-Werbespot für den "Focus" seinen Redakteurshof um sich versammelt und ein unglaublich intelligentes Gesicht schneidet.

Es sind eher Grimassen, die er vorhält, wenn ihm die aktuellen Auflagenzahlen im Vergleich zum "Spiegel", als dessen Konkurrenz der "Focus" gegründet worden ist, unterbreitet werden: Rund 300.000 Exemplare weniger als der "Spiegel" verkauft Markwort mit seinem Bilderblatt für Menschen mit einer Leseschwäche und einem fatalen Hang zur CDU. Das hat natürlich nichts mit irgendeiner intellektuellen Qualität des "Spiegels" zu tun, sondern mit dessen Angleichung nach unten in dem Moment, indem der "Focus" auf den Markt kam. Und vielleicht auch mit der Tatsache, dass der "Spiegel"-Chef Aust nichts von Fakten erzählt, sondern eine Nilpferdpeitsche auf dem Schreibtisch liegen hat, die im Haus gern als Mittel der Mitarbeiterkommunikation bezeichnet wird.

Auch wenn Markworts Auflagen keine Laudatio rechtfertigen, ist ihm doch anzurechnen, dass er binnen weniger Jahre die Qualität der deutschen Presse unter den ohnehin nicht erheblichen Durchschnitt gedrückt hat. Sein "Focus" spielt im Bereich der Magazine jene Rolle, die auf dem Feld der TV-Sender die Privaten gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen eingenommen haben: Im Kampf um Auflage und Quote das Niveau in die Nähe der Debilitäts-Grenze zu zwingen. Diese Leistung will die RATIONALGALERIE mit einer kleinen Analyse des "Focus" der vorliegenden Woche würdigen.

Der Aufmacher "Das erschöpfte Ich" widmet sich dem Burn-out-Syndrom und enthält wider Erwarten sogar ein paar Fakten: "Ein Drittel der deutschen Lehrer" soll am "Burn-out-Syndrom" leiden undauch "40 - 60 Prozent der Pflegekräfte in Kliniken und sozialen Einrichtungen" sind ausgebrannt. Nach diesem kurzen Ausflug in die Welt des Realen finden sich dann primär Prominente wie Klinsmann, Eminem oder Sven Hannawald, denen die Sorge des Magazins gilt. Das alte,verkaufsfördernde Schema der Leseridentifikation über Testimonials soll auch hier greifen. Wie angeklebt wirkt dann ein Kurzinterview mit zwei Ärzten, die vorsorglich als "Dissidenten" bezeichnet werden, und ganz vorsichtig das Wort "Arbeitsmarkt" als wahrscheinlichen Auslöser von Stress in den Mund nehmen, um flugs zu betonen, dass "daran nicht nur die bösen Arbeitgeber schuld" sind. So werden die Fakten gemischt: Alle sind betroffen (auch die Promis), schuld ist niemand und es gibt ja auch noch andere Syndrome.

Um "Anreize für höhere Leistungen" geht es im "Bündnis für Aktien", dem groß aufgemachten Lobby-Artikel zum Investivlohn. Damit die Meinungsvielfalt gesichert bleibt, kommt erst gar kein Gewerkschafter zu Wort, denn die wollen doch nur "bei Lohnverhandlungen nicht ausgebootet werden." Der "Focus" ist immer für ein offenes Wort gut: Der Investivlohn Merkelscher Machart soll den Einfluss der Gewerkschaften begrenzen und den Kapitalbedarf von Unternehmen zinsgünstig decken, denn, so ein Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, "dort herrscht chronische Kapitalnot".

Diese Sorte ehrlichen Lobbyismus findet sich auch in einem achtseitigen Artikel über die Möglichkeiten Stromkosten zu sparen. Kein Wort über die Energiekonzerne und deren überhöhte Preise, neben Maßnahmen zur Wärme-Dämmung findet sich der extrem sachdienliche Hinweis "Einfach weniger" verbrauchen. Das alles ist fachlich und sprachlich durchaus unterhalb der "Apotheken-Umschau", aber die tut wenigsten nicht als wäre sie objektiv. Weiter hinten im Blatt findet sich dann doch ein Stromkonzern: "Vattenfall". Als "Merkels sanfter Schwede" wird Lars Josefsson, der Chef des Unternehmens "Vatenfall", bezeichnet. Der Mann ist seit letzter Woche "Klimaberater" der Bundeskanzlerin. So sitzt der Lobbyist direkt auf dem Schoß der Regierung und der "Focus" muss sich Sorgen machen, ob er denn noch gebraucht wird. Doch solange er solche schleimigen Gefälligkeitsartikel verbreitet, kann ihn die Anzeigen vergebende Industrie eigentlich nicht fallen lassen.

Auch Harald Schmidt, das intellektuelle Etikett der ARD, bessert sein schmales Salär mit einer ständigen Kolumne im "Focus" auf. Diesmal langweilt er über sein und anderer Leute verlegten Handy-Ladegeräte, um schiesslich "in einen befreundeten Elektrodiscounter" zu gehen: "Ich bin doch nicht blöd". Doppelt bezahlt hält besser. Ob der Bahnchef Mehdorn für eine Subline wie "Das Urteil zum Berliner Hauptbahnhof zeigt drastisch, wie machtlos ein Bauherr gegenüber seinen Architekten sein kann" gezahlt hat, wissen wir nicht. Wissen kann man, nach Lesen des Artikels, dass der "Focus" auf der Seite von Hartmut Mehdorn steht, wenn er das niveauvolle Fachblatt "BZ" zitiert, das über den Architekten des Hauptbahnhofs zu sagen weiß, dass der sich "zum Schaden der Öffentlichkeit viel zu wichtig nimmt".

Herzlichen Glückwunsch, Helmut Markwort, Ihr langjähriges, hartnäckiges Ringen um den IQ der Deutschen ist von einem gewissen Erfolg gekrönt. Auch wenn Sie die Grosse Koalition nicht allein zu verantworten haben, darf man sicher sein, dass Ihre Leser einen beachtlichen Beitrag dazu geleistet haben. Warum Sie auf der wunderbaren Doppelseite des aktuellen "Focus", die uns die diesjährigen "Bambi"-Preisträger gemeinsam auf einer Bühne präsentiert, nicht zu finden sind, bleibt unverständlich. Wo Ursula von der Leyen und Königin Sylvia, die Mütter zweier Nationen, auf einem Foto vereint sind, sollten auch Sie stehen: Der Vater des Häppchen-Journalismus und der vielen Anzeigen, die als Artikel ausgeben werden.