Wer blind drei deutsche TV-Sender nacheinander einschaltet, gleich zu welcher Tageszeit, der wird auf mindestens eine Kochsendung stoßen. "Ich koche, also bin ich" scheint das Motto der Programmverantwortlichen zu sein, oder: "Ich lasse kochen, also habe ich Quote". Mehr als 30 Kochsendungen bescheren uns die Sender. Vom mittäglichen "ARD-Buffet" über die "Klassiker der deutschen Küche" des ZDF bis hin zum täglichen "Perfekten Dinner" bei Vox und den vielen Koch-Duellen, Koch-Arenen oder Kochprofis auf diversen Privaten oder Dritten. Nach gründlicher Sichtung einiger Sendungen wird deutlich: Wir brauchen mehr Kochsendungen.
Zum einen ist Essen eine wesentliche Lebensgrundlage. Wer nichts zu sich nimmt, nimmt auf Dauer erheblich ab. Zum anderen ist Essen und Trinken ein wesentliches Zeichen von Kultur: "Wir hatten gestern zu geschmorten Rattenbäckchen an Eichenlaub einen vorzüglichen 69er Schlafitte aus dem Val de Pisse". Solch ein Satz lässt den Freundeskreis neidvoll erschauern und die Rezept-Notizbücher zücken und die gesellschaftliche Position ist gesichert. Vom Koch-Ehrgeiz deutscher Studienrätinnen und Studienräte (Zahnärzte, Rechtsanwälte, Professoren, etc.) leben ganze Branchen. Man kauft die erlesenen Koch-Geräte bei Manufactum, manche Verlage können den Dichtern nur noch Geld zahlen, weil ihre Kochbücher den Umsatz machen und auch der intellektuelle Sender "arte" weist seine quotierte Existenzberechtigung primär durch die "Kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener" nach.
Schon dass Sarah Wiener durch französische und italienische Landschaften fährt, hat etwas Lyrisches: "Diese Luft am Meer, dieser Wellenschlag!", weiß sie über eine Küste zu sagen und auch der Vermittlung historischer Bildung dient die Sendung, wenn der Kommentarton erwähnt: "Schon die alten Römer wussten, was gut ist". Der philosophische Aspekt der inzwischen mehr als 30 Folgen widmet sich der Kategorie `Zufall und Notwendigkeit´: Zufällig trifft Frau Wiener in einem Ort ein, zufällig hat der Koch Bertolo (oder Jean oder wer auch immer) gerade Zeit, zufällig hat die regionale Küche doch noch Mängel, die aber von Sarah in einer finalen Eigenproduktion zur pädagogischen Notwendigkeit geführt wird: Sarah kocht besser. Siehste, sagt die Toskana-Fraktion beifällig, die regionalen Produkte sind gut, aber wenn wir unseren exquisiten Senf nicht dazu geben, dann bleibt das Kochen der Einheimischen die pure Anarchie.
"Für mich beginnt der mündige Bürger bei den Geschmacksnerven", sagt Sarah Wiener und hat ja so recht. Wenn der Hartz-IV- Empfänger seine Nudeln nicht al dente kocht, wie soll er dann mitreden oder gar mitentscheiden können? Um diesem Defizit unserer Demokratie abzuhelfen, brauchen wir spezifische, auf die jeweilige Zielgruppe formulierte Koch-Sendungen. Zum Beispiel "Kochen mit Horst Köhler - Die Koch-Show für Sparkassenangestellte." Oder "Wir lassen nichts anbrennen - Pofalla kocht rheinisch." Unverzichtbar: "Das Salz in der Suppe - Lafontaine kocht über." So fände dann nahezu jeder seinen Tellerrand und müsste nie mehr über ihn hinaus schauen. "Ich möchte das Kochen demokratisieren. Jeder – egal ob arm oder reich – soll kochen", fährt Sarah Wiener fort und weist auf Lücken im Programm hin. Denn wo gibt es Kochlehrgänge für das Prekariat?
Immer noch fehlen Rezepte für Ratatouille aus Marktabfällen, auch wissen die wenigsten Armen, dass sauer gewordene Milch in die man Brot brockt mit einen Hauch Vanille zur Delikatesse werden kann. Eine Koch-Serie unter dem Titel "Verlängern" steht aus: Wie man Suppe, ohne große Geschmacksverluste, mit Wasser verlängert, wie längeres Kauen satter macht als Schlingen, dass Eipulver schon vom Geschmack her die Zeiten bis zum nächsten Essen deutlich verlängert. Während konventionelle Kochsendungen das Selbermachen empfehlen, kleine Gewürz-Beete anlegen oder die Pilze selber sammeln, um sie frisch auf den Tisch zu bringen, sollte bei "Prekäres Kochen" das Klauen im Mittelpunkt stehen: Wo hängt die Kamera im Supermarkt und wie trickse ich sie aus, ein guter Tipp für den preiswerten Einkauf.
"Auf der anderen Seite", erzählt uns Sarah Wiener, "gibt es eine breite, gleichgültige Masse, die überhaupt nicht kochen kann. Die denken, eine Mikrowelle und eine Schere reichen als Küchenutensilien aus." So ist sie, die Masse. Wenn die TV-Sendungen, in denen erklärt wird, wie das offene Feuer aus zerhackten Parkbänken zum Aufwärmen von Essensresten nicht nur für Obdachlose nützlich ist, keinen Erfolg hat, sollte der Innenminister tätig werden. Ein Verbot des Mikrowellen-Terrors steht dann auf der Tagesordnung. So wird auf Dauer der Massengeschmack gehoben und Deutschland kann endlich eine Kulturnation werden. Apropos Geschmack: Wer einmal in Sarah Wieners Schnellimbiss in der Berliner Akademie der Künste war, der weiss: Es ist teuer aber schlecht. In ihrem Restaurant im Hamburger Bahnhof, dort, wo der moderne Kunstgeschmack seine Feste feiert, ist es umgekehrt: Schlecht aber teuer.