Günter Grass hat in der heutigen Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" erneut zur Wahl der SPD aufgerufen. Ein Kernargument des Schriftstellers für die SPD ist in der Weigerung des Kanzlers Schröder begründet, den USA in den Irak-Krieg zu folgen. Mal abgesehen vom Kommentar des Bundesverwaltungsgericht, das die deutschen Unterstützungsleistungen des Irak-Krieges als völkerrechtswidrig einstufte, war dieses Nein mutig und richtig. Aber alles andere wäre auch schlicht ungesetzlich gewesen, ein Bruch des Grundgesetzes, das für den Einsatz der Bundeswehr den Verteidigungsfall oder ein Uno-Mandat vorsieht, beides lag nicht vor. Und obwohl es für Gerhard Schröder alles andere als einfach war dieses Nein gegen die Interessen der USA zu formulieren, erscheint es schwierig, einen auf das Gesetz verpflichteten Mandatsträger wegen seiner Pflichterfüllung über den Klee zu loben.

Noch schwerer fällt ein Lob, wenn wir uns den nächsten Kriegsfall, den in Afghanistan, anschauen. Warum schweigt Günter Grass in seiner Wahlkampfrede von diesem Krieg? Weil der redliche Schriftsteller zum Wahlkämpfer mutiert und weil der Fall Afghanistan sich im Grunde nur wenig vom Fall Irak unterscheidet. Nach wie vor gibt es täglich Kämpfe und Tote, mehr Zivilisten als Soldaten, nur werden sie in den Medien kaum wahrgenommen. Immer noch versucht die US-Armee ihrer ehemaligen Freunde, der Taliban, habhaft zu werden, während die Bundeswehr als Prätorianergarde eines afghanischen Präsidenten fungiert, der von den Amerikanern eingeflogen worden ist. Das Neusprechwort für den Einsatz der Bundeswehr heißt "Aufbauhilfe". Lieber Günter Grass, jede seriöse Hilfsorganisation auf der Welt kann Ihnen erzählen, dass Soldaten beim Aufbau nur stören. Sie kosten viel Geld, gelten zu Recht als Besatzer und bohren keine Brunnen, lehren keine Schüler, bauen keine Häuser. Natürlich ist die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan mit den Stimmen von SPD, CDU, FDP und Grüne beschlossen worden.

Grass nennt die Einebnung der Unterschiede der großen Parteien, eine Behauptung, "zweckdienliches Gewäsch", es gäbe einen "erkennbaren Unterschied zwischen links und rechts". Mit dem Schröder-Blair-Papier von 1999 läutete die SPD den Weg in die neue Mitte ein. Kurz vor den letzten Bundestagswahlen veranstaltete sie sogar einen eigenen Kongress zur "Mitte in Deutschland". In der "Mitte" gab es bis jüngst ein arges Gedrängel, alle wollten dahin, links erschien ähnlich anrüchig wie rechts, die vorhandenen sozialen Unterschiede sollten zumindest politisch eingeebnet werden.

Bis jüngst, bis zur Wahl in Nordrheinwestfalen. Kurz vor der zehnten für die SPD verlorenen Landtagswahl in Folge, erinnerte sich Franz Müntefering kurzzeitig an den den Unterschied zwischen Arm und Reich, viele SPD-Stammwähler mochten ihm nicht glauben. Noch sah sich die SPD, trotz der Heuschreckenäußerung von Müntefering in der Mitte, noch wurde Hartz IV für gut befunden und die Steuererleichterung für die Besserverdiener auch, da trat die Linkspartei auf den Plan. Und plötzlich wandelte sich der Mitte-Kanzler zum unerschrockenen Linken. Bei Grass liest sich das so: "Spät - man kann nur hoffen, nicht zu spät - hat die rot-grüne Regierung erkannt, dass die finanziellen Folgen der nicht mehr aufzuschiebenden Reformen auch und in gerechtem Maß von jenem Teil der Bürger getragen werden muss, der durch hohes Einkommen und Reichtum begünstigt ist. Das umständlich geschraubte Deutsch soll den Wahlkämpfer Grass verbergen: "Nicht zu spät" meint nicht die sozialen Folgen für die Bürger, gemeint sind die Wahlergebnisse für die SPD.

Günter Grass hat sich aus dem Land der Vernunft, der Analyse in das Reich des Glaubens, der Hoffnung und der Wünsche begeben. Aber wer außer Grass soll der SPD den jüngsten Schwenk nach links glauben? Dass Gerhard Schröder sympathischer ist als Angela Merkel, wer wollte daran zweifeln, wer sieht darin eine Kunst? Dass Oskar Lafontaine, dessen Namen Grass in seinem langen Elaborat meidet wie der Teufel das Weihwasser, den er nur als "begabten Demagogen" erwähnt, nicht unbedingt für politische Gradlinigkeit steht, wem hilft diese Einschätzung? Lafontaine hin, Gysi her, wer dem Kartell der Mitte entkommen will, braucht Opposition. Die ist wählbar.

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