Seit Wochen ist Knut der Eisbär, ein Insasse des Berliner Zoos, im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit. Nicht nur die Berliner Blätter und Sender, durchweg von ausgesuchter Provinzialität, nehmen sich des jungen Bären an. Die "New York Times" (Knut is cute), das schwedische "Aftonbladet", der englische Sender "Sky News": Alle Welt kümmert sich um Knut. Der Berliner "Tagesspiegel", ein Weltblatt das sogar in Kyritz an der Knatter gelesen wird, hat eine Fanpage eingerichtet: "Oh, wie süß!" ist die häufigste der dort erscheinenden Metaphern. Ein echter Klima-Minister macht sich mit ihm gemein, die "Bildzeitung" bringt jeden Tag etwas über den Bären, die "Süddeutsche" bietet im Internet eine Fotostrecke mit 29 Bildern an und die vorgeblich seriöse ARD sendet fünf Wochen lang jeden Samstag um 11.50 Uhr Neues vom Knuddel-Bären. Aber was geschieht danach? Wenn Knut größer und größer, unappetitlich riechen und süße kleine Robbenbabys zu Frühstück essen wird? Knut muss zum Charity-Bären avancieren, zum Mittelpunkt öffentlicher Wohlfahrt.

Und die Wohltat beginnt mit seinem öffentlichen Tod. Knut wird, leicht betäubt (damit der Tierschutzverein nicht schon wieder protestiert), auf der Bühne der Staatsoper unter den Linden an einen Pfahl gebunden. Das Wachbataillon der Bundeswehr zieht auf, die Nationalhymne erklingt und Wolfgang Thierse hebt feierlich an: "Der Bär, früher ein Wesen ohne Sitz und Stimme, hat seit der deutschen Einheit . . ." Der Saal ist dicht gefüllt mit zahlenden Gästen: Schon die schlechtesten Plätze werden den Charity-Preis von tausend Euro kosten. Königliche Hoheiten, Exzellenzen und die Nouveaux Riches der Hauptstadt umklammern vor lauter Ergriffenheit ihre Champagnergläsern fester als gewöhnlich. Der Trauermarsch aus der Sonate in b-moll von Chopin wabert in den Saal und in das Aufwallen der Musik fällt ein Schuss, abgegeben von einem tapferen Mann der KSK-Spezialkräfte der Bundeswehr, nur kurzzeitig aus Afghanistan für diese Präzisionstötung abkommandiert. Die Hornbläser des Deutschen Jagdverbandes markieren mit ihrem Halali das Ende einer Veranstaltung deren Senderechte von Günter Netzer weltweit vermakelt werden. Der Erlös der "From-Life-to-Death-Presentation" geht unmittelbar, in Form von McDonald-Gutscheinen, an die deutschen Straßenkinder.

Da Wild, und wie sonst sollte man Knut bezeichnen, vor der Zubereitung immer ein wenig abhängen muss, wird der Eisbär nach seiner Exekution für eine gute Woche in einem Schaufenster des KaDeWe ausgestellt: Mit einer Zitrone im Maul, umlegt von edlem Gemüse, das täglich erneuert wird, erwirbt sich der Bär den nötigen Hautgout durch einfaches Liegen. Anschauen ist kostenlos, fotografieren dürfen die Zigtausende von Menschen, die Knut täglich die letzte Ehre erweisen allerdings nicht: In einer Lex-Knut wird das ausschließliche Fotorecht dem Starfotografen Jim Rakete übertragen. Jims Fotos werden in einem Bildband unter dem Titel "Deadline one Ice" vermarktet. Noch streiten sich die Entwicklungshilfeministerin ("Das Geld geht an die Negerkinder!") und die Familienministerin ("Jeder Cent gehört den Vielgebärenden!") um den Gewinn aus dem Buch.

"Kochen bei Kerner", so heißt die Sendung des ZDF, in der Knut dann zerlegt und in unterschiedlichen Tranchen zubereitet wird. Man darf davon ausgehen, dass der TV-Koch Tim Mälzer beim Entbeinen das große Messer führt. Noch unklar ist die Menge von Rosmarin und Knoblauch, mit der die Haut des abgezogenen Bären eingerieben werden soll. Ganz sicher gibt es - oh wie süß - Preiselbeeren als Beilage. Auch ist eine Farce von Innereien vorgesehen. Allerdings ohne die Leber: Die wird zu einer zarten Paté verarbeitet und später mit einem Haute Sautern 1er cru . . . Aber so weit ist es ja noch nicht. In diesem Stadium bleibt festzuhalten, dass die Einnahmen aus den Werbeeinblendungen dieser Sendung in den "Cool-Knut-Medien-Preis" fließen sollen. Ausgezeichnet werden wahrscheinlich jene tapferen TV-Sprecher, die in den Öffentlich-Rechtlichen ohne schamrot zu werden die Nachrichten verlesen.

Nach dem öffentlichen Kochen die öffentliche Verkostung: Auf dem Berliner Gendarmen-Markt beginnt schon der Aufbau einer Bühne, von der aus der gegarte und portionierte Knut öffentlich versteigert werden wird. Unter den Augen der Welt-Medien (CNN und Gala sponsern die Charity-Auktion) und unter der Leitung von Günter Jauch, wird auch der tote Bär noch Gutes tun. Zur Versteigerung sind nur handverlesene Inhaber von Platin-Kreditkaren zugelassen und sie dürfen gewiss sein: Jeder Happen, den sie, teuer ersteigert, in sich reinwürgen, kommt den Hungernden in aller Welt zu gute. Noch wird überlegt, ob man in einigen afrikanischen Gebieten, wie zum Beispiel dem Sudan, Public-Viewing-Meilen einrichten soll, um das Ereignis live zu übertragen. Experten gehen davon aus, dass so mancher Darbende schon vom Zuschauen für immer satt sein könnte.

Knut wird auch nach dem Dessert noch von Nutzen sein. Ausgestopft und mit einer kleinen aber feinen Mechanik versehen, ist sein Platz demnächst im Foyer der Museumsinsel. Wer immer einen Euro in das weit aufgerissene Maul des toten Raubtiers wirft, der leistet seinen Beitrag gegen die Klimakatastrophe und für die Erhaltung der letzten Eisbären. Man schätzt, dass dem toten Bären täglich etwa tausend Euro entnommen werden könnten. Die Linde AG hat sich bereit erklärt für diesen Betrag, einhundert Norm-Eisschollen zum Selbstkostenpreis herzustellen und die NATO sicherte schon zu, die Schollen über dem Polarkreis gezielt abzuwerfen. Dass die Firma Wall AG, einer der größten Betreiber von Klohäuschen weltweit, sich den Slogan "Eisbär geht durch den Magen, aber wo geht er hin?" hat patentieren lassen, wurde vom Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann, umgehend und mit Schärfe dementiert: Für Scheisse, so Neumann, sei ausschließlich die Bundesregierung zuständig.


* Ziemlich frei nach Jonathan Swift