Jüngst rügte Kanzlerin Merkel den Papst. Er solle sich gefälligst gegen die Leugnung des Holocaust wenden. Diese Rüge fand allgemeinen Beifall. Ein deutscher Papst, der müsse doch nun wirklich! Und deshalb, weil er Deutscher sei, stehe der Kanzlerin nicht nur das Recht zu, sie habe sogar die Pflicht ihn zu kritisieren. Sehen wir davon ab, dass Frau Merkel ihren Einwurf am Ende der Debatte äußerte. Unterschlagen wir, dass sie dringend ein Thema brauchte, das von der Nichtbewältigung der ökonomischen Krise und Nichtbeherrschung der CSU in der Causa Glos ablenken sollte. Selbst wenn man ihr abnähme, sie sei wegen eines katholischen Holocaust-Leugners ernsthaft besorgt: Bleiben wir dabei, dass Angela Merkel ein anderes Staatsoberhaupt, das des Vatikan, zur Ordnung rief.

Es war ein Schulhof in den Fünfziger Jahren. Mitten auf dem Schulhof: Eine unsichtbare Grenze. Die wurde in den Pausen nicht überschritten. Denn auf der anderen Seite waren die Anderen. Sie sahen zwar aus wie wir. Mussten aber einen verborgenen Makel haben. Wir durften nicht zu ihnen, die nicht zu uns.

Solch einen Ordnungsruf der Merkel hätte man gern zum Berlusconischen Rechtsverständnis, das eher ein Unrechtsverständnis ist, gehört. Auch ein Wort zum völkrrechtswidrigen Irak-Krieg der USA wäre angemessen gewesen. Die häufig rassistischen Äußerungen des englischen aber deutschstämmigen Prinzen Philip (In Papua-Neuguinea, zum Beispiel: "Sie haben es also geschafft, nicht verspeist zu werden“), waren der Kanzlerin ebenfalls keinen Kommentar wert. Sie kritisierte das religiöse Oberhaupt einer Kirche, die in Deutschland Privilegien genießt: Der Staat erhebt Kirchensteuern, er sichert, in fast allen Bundesländern, den Religionsunterricht, er finanziert kirchliche Projekte. Es ist das Merkelsche Verständnis von der Bedeutung der christlichen Religion für die Bundesrepublik, das sich in der Papstrüge ausdrückt: Unsere Religion in unserem Staat muss unsere Politik vertreten.

Die Schule lag im Westen der relativ frisch gegründeten Bundesrepublik. Es hatte einen Krieg gegeben, der auch Schulen zerstört hatte. Deshalb mussten sich die Konfessionen, für eine Übergangszeit, Schulen teilen. Das war für die unterschiedlichen Bekenntnisse unangenehm. Religion ging offenkundig nur pur, nicht gemischt.

In der Debatte um die Europäische Verfassung wünschte sich die deutsche Kanzlerin "ein klares Bekenntnis zu den christlichen Wurzeln" in der Präambel des Vertrages. Wissentlich fälschend zog sie in diesem Zusammenhang eine Linie zur Präambel der bundesdeutschen Verfassung. Die sieht zwar eine "Verantwortung vor Gott" vor, schweigt sich aber vornehm darüber aus, welcher Gott gemeint sein könnte. Ganz sicher auch, weil die Deutschen kurz vor der Formulierung einer neuen Verfassung ein paar Millionen Menschen umgebracht hatten, die keineswegs zum christlichen Gott beten wollten. Da konnte man den wenigen Überlebenden doch keinen Jesus-Bezug ins Grundgesetz schreiben. Aber wo die Kanzlerin herkommt, da gab es eine Verfassung ganz ohne Religion. Gottlos.

Links war die Schule evangelisch, rechts war sie katholisch, oder umgekehrt. Eines war klar: Die Anderen waren die Ungläubigen. Das jedenfalls verkündeten die Priester im Religionsunterricht. Und sie beschwerten Ihren Ruf nach Abgrenzung mit Drohungen.

Obwohl die deutsche Verfassung in ihrem Artikel 140 einen säkularen Staat vorsieht, eine Gesellschaft in der Kirche und Staat getrennt leben, obwohl es keine Welle von Kircheneintritten gibt, macht sich eine mediengestützte Debatte um die Renaissance des Göttlichen, des Christlichen breit. Das fand seinen Ausdruck in der hysterischen, auf allen Kanälen verbreiteten Papstbegeisterung. Aber auch die Feuilleton-Genugtuung über die "postsäkulare Gesellschaft", verkündet vom Stellvertreters Hegels auf Erden, Jürgen Habermas, konnte sich auf intellektuelle Bataillone stützen. Von der "Zeit" (besser unterm Arm als im Kopf) über den "Focus" (ein Häppchen kommt selten allein) bis zum "Spiegel" (Bild für die Besserverdiener): Alle waren entzückt, interessiert, begeistert gar: Schluss mit der "privaten" Religion, her mit der öffentlichen, religiös gefärbten Staats-Moral.


Die kommen nicht in den Himmel, sagten die Prediger der einen Religion, wie die der anderen auch. Gab es mehrere christliche Himmel? Und wer sich mit dem der Anderen einließ, der war auf ewig verdammt, der jeweilige Himmel blieb ihm für immer verschlossen.

Das Land Berlin bildet bisher eine Ausnahmen von der Pflicht, den Religionsunterricht als "ordentliches Lehrfach" an den Schulen einzurichten. Statt dessen gibt es den staatlichen Ethik-Unterricht. In eben diesem Berlin wurden zur Vorbereitung eines Volksbegehrens "Pro Reli" , eine Viertelmillion Stimmen gesammelt. Unter gütiger Mithilfe der Springer-Dreckschleudern ist damit das Fundament gelegt, den bisherigen Ethik Unterricht als alleiniges, religionsübergreifendes Fach, der Konkurrenz eines konfessionellen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach auszusetzen. Unter den Bedingungen der nur vorgeblich säkularen Republik ist natürlich auch der Ethik-Unterricht nicht religionsfrei. Aber immerhin ermöglicht er es, den unterschiedlichen Bekenntnissen der vielen Ethnien in Berlin eine gemeinsam Diskussionsgrundlage zu geben.

Manche der Schülern kamen aus sogenanten Mischehen. Das waren Ehen, in denen der eine Elternteil katholisch, der andere protestantisch war. Diese Mischlinge wurden zur Mission angehalten. Denn wenn sie den Elternteil mit der falschen Religion nicht von seinem Fehler überzeugen würden, dann könnten sie den später nicht im jeweiligen Himmel treffen. Behaupteten die Religionsvermittler.

Der zarte Versuch des Berliner rot-roten Senats, der Herkunftsvielfalt seiner Schüler zumindest an einem Punkt einen übergreifenden, ethischen Dialog zu bieten, ist gefährdet. Es sind evangelische, jüdische, islamische und katholische Organisationen, die gemeinsam den Kampf für einen etablierten Religionsunterricht führen. Schade, dass die Zeugen Jehovas, die Scientologen, die vielen Fraktionen der Buddhisten oder Vertreter schamanistischer Religionen nicht in der Pro-Reli-Front stehen. Mit ihnen würde noch deutlicher, dass es viele Götter gibt und ihre Kirchen von der Abgrenzung leben. Ein gewisser Steinmeier, früher Frank-Walter, jetzt nur noch Frank, der Stromlinie wegen, gibt seine Unterschrift für das Volksbegehren "Pro Reli" als "privat" aus. Der Gedanke der säkularen Republik verfällt. Auf steigt ein Deutschland, dessen Präsident zum Antritt seines Amtes wünscht, das "Gott unser Land segne". Da Köhler dem Christengott verpflichtet ist, schließt der Segenswunsch einen Fluch gegen die nichtchristlichen Bürger und Länder automatisch ein. In Zeiten der Globalisierung ist das ein fundamentalistischer Protektionismus, der einem Export-Land kaum ansteht. Aber wahrscheinlich segnen die Christen-Funktionäre jene Waffen, die von der Bundeswehr nach Afghanistan exportiert werden. Das immerhin ist doch eine schöne globale Geste.

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Das ist ja eine erstaunliche Tour: Von der Merkelschen Papstrüge zur Pro-Reli-Initiative, ein langer Marsch des Antireligiösen, garniert mit Häppchen aus der bundesrepublikanische Vergangenheit. Mir scheint, dass ist doch eher zu viel vorgenommen...

Das ist ja eine erstaunliche Tour: Von der Merkelschen Papstrüge zur Pro-Reli-Initiative, ein langer Marsch des Antireligiösen, garniert mit Häppchen aus der bundesrepublikanische Vergangenheit. Mir scheint, dass ist doch eher zu viel vorgenommen und dann nicht bewältigt.

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Rüdiger Meermann
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Man kann sich gar nicht genug vornehmen.

Uli Gellermann
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An die bedrückenden Atmosphäre solcher konfessionell geteilter Schulhöfe kann ich mich gut erinnern. Aber inzwischen hat sich doch doch eine Menge getan, das Verständnis der Religionen ist gewachsen.

Hanna Gerolsen
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Uli Gellermann
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