Deutschland hat eine sensible Öffentlichkeit. Empfindlich wie ein Seismograph kann sie zwischen gut und böse unterscheiden. Deshalb weiß sie in diesen Tagen auch: Clement gut, Bsirske böse.Wolfgang Clement, das ist der ehemalige Wirtschaftsminister der SPD, der nach langen Jahren in Jobs bei Land und Bund, deren kärgliche Pensionen bekannt sind, endlich ein warmes Plätzchen beim Energie-Konzern RWE gefunden hat. Frank Bsirske, dessen Name klingt schon so aggressiv zischend, ist ein schwerreicher Gewerkschaftsführer, der immer streiken lässt. Clement hat gute Freunde, den Gasprom-Schröder zum Beispiel. Bsirkse hat viele Feinde, den Roland Koch zum Beispiel, der ihm Nazi-Praktiken vorwarf, als Bsirske die reichsten Deutschen enttarnte. In beiden Fällen war die deutsche Öffentlichkeit mit einem garantiert ausgewogenen Urteil vorbereitet, wenn mal einer der beiden so richtig öffentlich werden würde.
Irgendwelche sozialdemokratischen Kleingärtner aus Bochum, Sozialromantiker, Gartenzwergzüchter, wollten tatsächlich den ehemaligen Superminister der SPD, den Herrn Clement aus ihrer Partei ausschließen. Nur weil der Mann mal abgeraten hatte SPD zu wählen. Wenn so ein kluger Mensch wie Clement davon abrät, die eigene Partei zu wählen, dann wird er gute Gründe dafür haben. Clement ist so eine Art Atom-Gewissen der SPD. Die hatte mal, in einem Anfall von grünem Populismus, den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Das geht nicht sagt Clement, immerhin ist er Aufsichtsratsmitglied bei RWE und die haben in Biblis ein nettes AKW rumstehen und wenn man dort die Laufzeiten verlängert, dann bringt das richtig Geld. Ja, von Wirtschaft versteht er was, der Clement.
Das ist bei Bsirske ganz anders. Der lässt doch tatsächlich das Lufthansa-Bodenpersonal mitten im Urlaub streiken. Das hatte die deutsche Öffentlichkeit schon vor dem eigentlichen Bsirske-Skandal heftig aufgeregt: Kann denn die Gewerkschaft nicht zum Beispiel an Heiligabend streiken, wurde zu Recht öffentlich gefragt, da fliegen kaum Leute, der Streik wäre nicht unangenehm aufgefallen und Frank Bsirske hätte sich mal beliebt machen können. Aber das will der gar nicht. Der will, dass wir Deutschen nicht in Urlaub fliegen können. Dabei ist er selbst im Aufsichtsrat der Lufthansa, ruiniert also das eigene Unternehmen. Und steckt dann auch noch Aufsichtsratstantiemen ein. Die führt er regelmäßig komplett an die Gewerkschaft ab: Der kann nichts von Wirtschaft verstehen.
So blöde ist Wolfgang Clement nicht. Der steckt seine Aufsichtsratstantiemen ein. Auch deshalb sorgt sich die Öffentlichkeit um ihn: Da wird einer von einem Unternehmen bezahlt, um dessen Meinung zu vertreten, die sagt er dann klar und deutlich und deshalb soll er aus der Partei rausgeschmissen werden. Das ist ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit! Wo der Mann doch nur die Meinung seines Arbeitgebers verbreitet! Da macht einer nur seinen Job und dann will man ihm an den Kragen. Bei Bsirske is das anders: Der fliegt ohne zu zahlen, auf Kosten der Lufthansa, durch die Welt und bedankt sich für diesen Vorteil nicht einmal. Mit einem kleinen Weihnachtsstreik, zum Beispiel.
Der journalistische Teil der deutschen Öffentlichkeit weiß wovon er redet wenn er über Vorteilsnahme schreibt oder sendet: Er bekommt überall Journalistenrabatt, so bei fünfzehn Prozent liegt der kleine, immer gern genommene Vorteil. Der deutsche Journalist hat auch eine Meinung. Die seines Arbeitgebers zumeist. Also macht auch er nur seinen Job, wenn er alle die alten, tapferen Freunde der Gewerkschaften zustimmend zitiert, die jetzt den Rücktritt von Bsirske fordern: Der CDU-CSU Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach oder der FDP-Generalsekretär Dirk Niebel, zu Beispiel. Der kämpft schon lange für Arbeitnehmer-Rechte. Als er noch Angestellter der Bundesagentur für Arbeit war, hat er versucht seinen FDP-Wahlkampf auf Kosten der Agentur zu machen. Die bescheinigte ihm, sein Ansinnen »sei eine Verletzung von Dienstvorschriften und des Grundsatzes der Chancengleichheit«.
Mit dem ehemaligen Innenminister Otto Schily hat Wolfgang Clement einen wahrhaften Verteidiger der Meinungsfreiheit in der innerparteilichen Auseinandersetzung gewonnen. Denn auch Schily hat immer nur seinen Job gemacht. Er ist am Sicherheitsunternehmen »ID Solutions« beteiligt. Das bietet komplette Sicherheitstechnologie rund um die Erstellung elektronischer Pässe an. Deren Einführung in Deutschland hatte Schily als zuständiges Regierungsmitglied vorangetrieben. Kenner behaupten, das sei auch der Grund, warum Schily seine Einkünfte nicht offen lege, obwohl er das als Bundestagsabgeordneter müsse. Doch Schily bleibt verschwiegen, ein Charakterzug, den er mit Clement teilt: Auch der redet nicht über die Kundenliste seiner Firma Comm-Management und Communication.
Die anerkannte Gewerkschaftszeitung »Die Welt« stellt in einer Online-Umfrage fest, dass 95 Prozent der Befragten den Rücktritt von Bsirske wollen. Immerhin hatten sich überwältigende 688 Menschen daran beteiligt. Man darf sicher sein, dass eine Umfrage der »Welt« zu Clement folgenden Wortlaut hätte: Soll Wolfgang Clement weiter abraten die SPD zu wählen? Eine Ja-Quote bei 100 Prozent gilt als garantiert. Eine Befragung zur Atomenergie dürfte unter den »Welt«-Lesern eine ähnlich sensible Zustimmungsquote erreichen. So wird die Meinungsfreiheit der Republik gerettet werden. Mit der Zuhälter-Moral jener, die sich eine Öffentlichkeit kaufen können.