Da wanderst Du heiter durch den Sommerwald, genießt den Wind, der Lindendüfte mit sich trägt, Sonnenstrahlen formen die Luft zu goldenen Röhren und plötzlich wird Dir kalt: Kein Vogelgezwitscher beglückt Dein Ohr, nicht einmal das TokTok der Spechte teilt die Luft in kleine Päckchen, der Wald steht schwarz und schweigend. Unheimlich. So war es auch nach Beginn der Krise: Kein fröhliches Plappern des ifo-Institutes aus München, das WSI aus Düsseldorf mochte seine Voraussagen nicht einmal mehr flüstern, und auch das Institut für Weltwirtschaft blickte düster auf die Kieler Förde, wortlos. Als hätten die paar verbrannten Milliarden, das Derivate-Feuerchen, die Weisen der Wirtschaft endgültig zum Verstummen gebracht. Doch wie nach einem strengen Frost die ersten Pflanzen mutig die Schneedecke durchstoßen, so meldet sich dieser oder jener von den Wirtschaftsdeutern wieder: Hans Werner Sinn, aus dem Renten-Wunderland, piepst von einem Tritt, den die Wirtshaft gefasst habe, ein Berliner Institut gibt ein fröhliches "BIP" (Brutto Inlands Produkt) von sich: Ewig kann´s nicht Winter sein.
Doch die Mehrheit der Großforscher der Wirtschaft schweigt immer noch. Das will das "Deutsche Bettler Institut (DBI)" nicht länger leiden: "Wenn jemand wirtschaftliche Kernkompetenz hat", teilt Will Beggar, der Vorsitzende des DBI auf der jüngsten Pressekonferenz des Institutes mit," dann wir. Deshalb legen wir der Öffentlichkeit jetzt unser Sommergutachten vor und können sagen: Viele Schwalben machen noch keinen Herbst!" Unter den signifikanten Zahlen des Gutachtens ragen die Supermarktergebnisse raus: "Hier konnten wir unsere Performanz ausbauen. Mehr und mehr Supermärkte sind von uns erfasst. Beste Ergebnisse erzielen die "Ein-Mann-Ein-Hund-Futter-Units", hochspezialisierte Kollegen, die in der Zielgruppe "Witwe mit Hund" hervorragende Ergebnisse erreichen." Auch wenn die Zahlen in diesem Sektor bisher als belastbar gelten, ist das DBI für die Zukunft insgesamt eher skeptisch: "Deutschland gehört quantitativ eher zu den Nehmer-Ländern. Nur Einzelnen wird kräftig gegeben, die können dann selig werden."
Leichte Zuwächse konnten in der Sparte Musik-Gruppen erzielt werden. "Während wir sonst eher mit Solisten Erfolg hatten - ein Akkordeon in der Bahn, eine Gittare vor dem Museum - kommen jetzt verstärkt die Blechbläser-Formationen mit mindestens sechs Leuten auf die Straßen. Auch wenn den zumeist osteuropäischen Kollegen der Vorwurf der Betteldrückerei gemacht wird: Unser Wirtschaftszweig steht für Innovation. Gerade in der Krise müssen neue Produkte auf den Markt, um das Spendeninteresse zu wecken!" Doch während die Bläser-Branche ein leichtes Hoch verzeichnen kann, geht es mit den Anteilscheinen an Obdachlosen-Zeitungen eindeutig abwärts. Beggar: "Man kann von einer Medienkrise sprechen, die Leute wollen das ganze Elend nicht mehr lesen. Unsere Charity-Profiler werden die Zeitungen jetzt auf Tiergeschichten umstellen: Was ist ein verhungerter Frankfurter schon gegen einen verhungerten Rottweiler?"
Zur neuen Geschäftsidee des Institutes, den "Brücken-Fonds", konnten noch keine umfassenden Ergebnisse vorgelegt werden. Beggar war sich sicher, dass "der Markt noch wächst". Es seien typische Anfangsschwierigkeiten, die den Handel mit den Zertifikaten noch so uneinheitlich machen würden: "Nehmen Sie doch mal die Zahl der Brücken. Berlin verfügt über allein 564 Wasserbrücken, Düsseldorf hat gerade mal sieben. Auch wenn unter den größeren Düsseldorfer Brücken viel mehr Leute schlafen können, sind die Berliner Brücken durchweg gemütlicher. Daraus ein einheitliches Papier zu machen fällt doch schwer. Wir werden auf regionale Genussscheine orientieren. Wer dann z. B. einen Schloß-Brücken-Schein erworben hat, der wird nicht nur in den Genuss eines zentral gelegenen Schlafplatzes kommen, sondern kann ihn auch, innerhalb der Stadtgrenzen, gegen einen oder mehrere Spandauer-Brücken-Scheine handeln, da bestimmen Lage und Markt eindeutig den Kurswert."
"Mit Ausblick auf das kommende Jahr" sagt der Vorsitzende des DBI nachdenklich, "könnten wir ein paar Erfrorene gebrauchen, so was ist gut fürs Weihnachtsgeschäft. In solchen Fragen ist unser Marketing völlig vom Wetter abhängig. Aber vielleicht findet sich diese oder jener Kollege, der, mit genug Korn im Bauch, an einer zugigen Ecke der Innung einen Freitod schenkt." Will Beggar, der seiner verantwortungsvollen Arbeit schon in der dritten Generation nachgeht, schwärmt immer wieder von der Nachkriegszeit: "Kriegs-Krüppel brachten damals das meiste nach Hause, Einarmige waren nicht schlecht, aber wer beide Beine ab hatte, der konnte sich freuen. Wir setzten jetzt auf den Afghanistankrieg, da gibt es jede Menge Chancen. Obwohl wir noch nicht wissen, was wir mit "Traumatisierten" anfangen sollen, das lässt sich kaum darstellen, wenn da nicht noch ein ständiges Zucken oder Schütteln hinzukommt, ist das kein gutes Geschäftsmodell.
Auf längere Sicht ist der Vorsitzende des "Deutschen Bettler Institutes" vorsichtig optimistisch: "Eins ist sicher, wir werden mehr. Die Zahlen gehen eindeutig nach oben. Nach den Wahlen, wenn die Regierung nicht mehr zum sozialen Klimbim gezwungen ist, kann man mit deutlich mehr Bettlern rechen. Das wird die Nachfrage kräftig stimulieren. Und eine kräftige Nachfrage hat der Wirtschaft immer noch gut getan!"