Es fritzelt schon auf der Heide
Nach Grausen woll´n wir geh´n
Volksweise

Der Begriff "Amstetten" erzielt bei Google nur 2.520.000 Ergebnis-Nennungen. Mit dem Begriff Winnenden erzielt man sogar 3.900.000 Treffer. Das ist völlig ungerecht. Sagen die Sexual-Spanner: Fast vier Millionen für ein paar Tote, was ist schon ein Amokläufer gegen einen Dauer-Vergewaltiger? Die Mord-Spanner halten dagegen, dass richtiges Blut, ruck-zuck vergossen, doch einen viel stärkeren Kick bringt: Kurz & schmerzhaft muss die Nachricht sein, was sich da in Österreich über Jahre hingezogen hat, das bringt doch nichts. Alle sind sich einig, dass sie völlig ratlos sind. Bis auf die Experten, Politiker, Sozialtherapeuten, Psychologen, Berufsvoyeure, also jene Sorte Journalisten, die sich vom Aas der Sensation ernähren.

Ein Autounfall. Wer da am Straßenrand steht, der will nicht helfen. Der will dabei sein. Die müssen den raus schweißen, sagt der Eine. Der Andere: Das schaffen die nie. Früher, als der Höhlen-Nachbar mal unter das Mammut geraten war, da kamen sie alle am Ort des Unfalls zusammen. Die Reste hätten ja noch eine gute Suppe abgeben können. Heute haben alle genug zu essen. Aber heute passiert ja nichts mehr. Alles aus zweiter Hand. Nur echte Knochen brechen spannend. Wenn man damit, als Second-Hand-News-Dealer konkurrieren will, dann reicht eine Vergewaltigung kaum noch aus, ein einziger Toter ist doch lächerlich. Zu viele dürfen es aber auch nicht sein: Afrika ist out.

Deutsche und österreichische TV-Sender verhandeln zur Zeit mit dem Verwalter des Hauses von Josef Fritzl in Amstetten, um im Keller filmen zu können. Pornos? Oder doch nur eine saubere DokuFiction, in der die Szenen nachgestellt werden und eine düstere Stimme vom unsäglichem Leid spricht, das man kaum nachempfinden kann? - Was wir brauchen, sagt der Produzent, ist eine lange subjektive Kamera-Einstellung, am besten nehmen wir diese kleine Helmkamera, die setzen wir ihm auf den Kopf, dann geht er in die Schule. O-Ton geht hier gar nicht, das Schreien muss nachher draufkopiert werden. Ob wir wohl in Winnenden eine Drehgenehmigung bekommen?

Googelt man den Begriff Winnenden gemeinsam mit dem Begriff Bildzeitung, kommt man auf nur 25.600 Treffer. Das ZDF schafft es problemlos auf 150.000 hits. Das ist das Ergebnis journalistischer Sorgfalt: Auf einen Toten kommen beim ZDF 8.823 Nennungen. Die ARD schafft mit glatten 259.000 Treffern eine deutlich höhere Quote. Sind die sorgfältiger? Oder haben die, durch ihre Dritten Programme, einfach ein größeres Verbreitungsgebiet, können also dem einzelnen Opfer eine bessere Einschaltquote sichern? "Ich habe", sagt Bundeskanzlerin Merkel, "mit dem Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, mit Günther Oettinger, telefoniert, und nach einem Gespräch mit dem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble alle Hilfe, falls sie erwünscht und benötigt ist, dem Land Baden-Württemberg angeboten." Wird sie die Bundeswehr schicken?

Auf dem Titel des letzten "Spiegel" sieht man ein Foto des Amokläufers. Das muss einen Informations- oder Erkenntniswert haben. Sonst würde man einen Jungen, der Opfer und Täter in einer Person ist, doch nicht der Öffentlichkeit preisgeben. Auf dem Titel hält man sich mit dem Nachnamen aus eben dieser Pietät zurück, dort heißt er nur K. Im Innenteil gibt es dann den vollen Namen. Da hat dann wahrscheinlich die Betroffenheit die Pietät glatt überwältigt. Das wird in den TV-Sendungen, in denen immer wieder weinende Mädchen aus Winnenden zu sehen sind, auch so sein: Wie sollte man sonst sein Mitgefühl zeigen, wenn man nicht private Trauer öffentlich preisgibt. Der Zuschauer will doch für seine Gebühren was sehen.

Das anspruchsvolle Kulturmagazin auf 3Sat hält einen echten Expertenfilm bereit: "Ihre Sprache, E-Mails, ihre Kommentare in den Chatrooms und Videobotschaften sind faszinierend: Sie haben den Stil für spätere Amok-Läufer an Schulen vorgegeben" berichtet das Magazin über die Amokläufer der Columbine High-School in Littleton bei Denver. Auch, dass die beiden Jungen sich lieber von Quentin Tarantino verfilmt gesehen hätten als von Steven Spielberg. Es ist eben alles eine Stilfrage. Wie faszinierend. "Dieser Tag mahnt uns auch, darüber nachzudenken, ob wir unseren Mitmenschen immer die notwendige Aufmerksamkeit entgegenbringen", sagt Präsident Köhler stilsicher. Für eine kleine Aufmerksamkeit ist er immer gut.

Herr Fritzel will für seine Memoiren vier Millionen haben, sagt sein Anwalt. Die Anwälte der Opfer verhandeln bereits mit Verlagen: Ihre Sicht soll auch memoriert werden. Wenn jetzt einer einen Weg fände, die Amstetten-Story mit der Winnenden-Story zu verknüpfen, der könnte richtig reich werden.