Wie immer bei »Reform«-Debatten stehen auch bei der Gesundheits-"Reform« die im Mittelpunkt, die mit dem sachlichen Kern so gut wie nichts zu tun haben: Die Tätowierten und die Drachenflieger. Die sollen demnächst, wenn der Gesundheitspool kommt, die gesundheitlichen Ergebnisse ihrer Leidenschaften selbst bezahlen, nach Unfällen oder anderen Komplikationen. Natürlich sind sie eine zu vernachlässigende Minderheit, finanziell bedeutungslos. Aber wie bei der Minderheit der »Sozialbetrüger« lässt sich mit ihnen so wunderbar der vermeintliche Almosencharakter der Sozialsystem bebildern: Lästige Kranke treiben die Kassen, den Staat, die Unternehmer, somit den Standort Deutschland in den Ruin.

Keiner der debattierenden Medien oder Politiker verknüpft die Krankenkassendiskussion mit der Schering-Übernahme-Diskussion. Denn die erste läuft unter der Flagge »Politik« und die zweite unter dem Banner »Wirtschaft«. Da ja bekannt ist, dass das eine mit dem anderen nur dann zu tun hat, wenn der gemeine Kassenpatient der Wirtschaft zu viel Unternehmeranteil am Kassenbeitrag abverlangt, wollen wir den Schering-Bayer-Merck-Komplex nur streifen.

Das Chemie- und Pharma-Unternehmen Bayer will das Pharma-Unternehmen Schering kaufen. Schering geht es gut, der Laden verdient sich dumm und dusselig, Hilfe braucht er keine. Das Pharma-Unternehmen Merck findet die potentielle Übernahme von Schering durch Bayer nicht nett. Merck würde Schering gerne selber kaufen. Deshalb treibt der Merck mit gezielten Aktienkaufen jetzt die Aktienpreise von Schering in die Höhe. Bisher dachte der Bayer, er könne Schering für den Spottpreis von 16,5 Milliarden Euro kaufen. Da hat er sich in den Finger geschnitten, heute abend, 24.00 Uhr, werden wir wissen, um wieviel mehr ihn der Merck-Vorstoss (der Merck hatte noch vorgestern für rund 350 Millionen Schering-Aktien gekauft, um dies Sache teurer zu machen) wirklich kosten wird.

Natürlich wird das Aktienmanöver keinen Arbeitsplatz mehr bringen, eher im Gegenteil. Aber Arbeitsplätze würden Einzahler in die Krankenkassen bedeuten. Was denen gut täte und den allgemein befürchten Ruin abwenden könnte. Auch könnte man von den Kaufsummen, die veröffentlicht wurden, die Kassen über Jahre hinaus sanieren. Aber natürlich hat die Wirtschaft nichts mit der Politik zu tun und deshalb sind solche Überlegungen nicht als Zumutungen. Auch die Frage, woher denn die Pharma-Unternehmen das Geld haben, mit denen sie zur Zeit Monopoly spielen, ist illegitim. Bei solch gemeinen Fragen könnte auffallen, dass die große Koalition alle möglichen Gruppen zur Sanierung des Gesundheitssystems einbeziehen will, nur nicht die Tablettenhersteller und die Medizinverkäufer.

Wie immer bei »Reformen« geht es um die Freie Marktwirtschaft und um deren Rettung. Das war schon so, als Bismarck die Sozialversicherung einführte, während eines Wahlkampfes, da war die Freiheit des Marktes gerade durch die jungen Sozialdemokratie bedroht. Die Sorge hat nun keiner mehr, außer der CDU, die sieht in der, vom Rand der SPD geforderten Einbeziehung der Privatkassen in das neue »Pool-Modell« einen Anschlag auf die Freiheit und wird den, sicher mit der Hilfe der »vernünftigen« Sozialdemokraten auch zurückschlagen können.

Denn die privaten Kassen, in der die Poltiker und die gut bezahlten Medienleute alle selber versichert sind, sorgen nicht nur für keine Wartezeiten ihrer Mitglieder in den Arztpraxen. Sie müssen auch nicht jeden aufnehmen. Deshalb dürfen Aids- oder Krebs- oder andere schwer kranke Menschen auch draußen bleiben oder saftige Beitragszuschläge bezahlen. Die privaten Kassen sind so frei, sich subventionieren zu lassen. Weil die Praxiseinrichtungen, die vielen teuren Medizinapparate und die Gehälter der Ärzte natürlich von den Kassen, die die Mehrheit der Patienten in den Praxen stellt, finanziert wird.

Das Pool-Modell hat natürlch mit Gesundheit nichts am Hut. Es soll die Kosten neu verteilen. Überraschung: Der Arbeitgeberanteil wird geringer sein als der Arbeitnehmeranteil. Dafür werde alle Steuerzahler gleichermaßen noch was in den Pool zahlen. Da ist es dann wie bei der Mehrwersteuer: Acht Prozent sind für die Verkäuferin nur etwa 80 Euro, der arme Millionär muß sehen, wie er die 8.000 Euro aufbringt. Wahrscheinlich wird er sich gleich in seinem Pool ersäufen.

Damit nur ja keiner auf die Idee kommt, diese schwierigen Zusammenhänge zwischen Bayer und Gesundheitskosten, zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut, zwischen privaten Kassen und Ortskrankenkassenpleiten zu begreifen, brauchen wir die Tätowierten. Solange die schuld sind, kann die Gesundheitsministerin weiter im Dunkeln pfeifen, zumeist auf die Kranken.