Es war einmal ein großes Land hinter den sieben Bergen, da waren ganz viele Menschen Eigentümer von ganz vielen Betrieben: Die Wasserwerke gehörten den Bürgern, die Gaswerke auch und sogar die Stromerzeuger. Die Bürger wohnten in Wohnungen städtischer Wohnungsbaugesellschaften und wer mit der Eisenbahn fuhr, hätte sagen können: Bisschen schneller bitte Herr Lokführer, denn die Bahn gehörte dem Staat und der Staat, liebe Kinder, wem gehörte der Staat? Damals dachten viele Bürger, der gehört allen.

So war es auch in einem kleineren Nachbarland, in dem noch viel, viel mehr Betriebe den Bürgern gehörten. Als die beiden Länder sich zusammentaten, haben sich kluge Leute die nun entstandene Lage angesehen und eine schreiende Ungleichheit festgestellt: Die im Osten des vereinigten Landes besaßen viel mehr Betriebe als die im Westen, das war aber auch gemein! Also machte man sich daran, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen: Mehr als 15.000 Staatsunternehmen wurden in nur vier Jahren verkauft. So viel Gerechtigkeit hatte die Welt noch nicht gesehen und alle waren ganz schön froh. Die Zahl der Abschreibungsmillionäre stieg und stieg und jede Menge Leute hatten jede Menge Zeit, immer weniger Menschen im Osten mussten arbeiten.

Das machte die im Westen natürlich neidisch, so viel Freizeit wollten sie auch haben. Und so gingen die guten Staats- und Stadtoberhäupter hin und verkauften hier ein Gaswerk, dort einen Energiebetrieb und auch die Telefongesellschaft. Weise Männer hatten dazu geraten, nicht nur wegen der Gerechtigkeit, sondern auch, weil der Staat mit Wichtigerem beschäftigt war und sich gar nicht so richtig um dieses Volkseigentum kümmern konnte und die Betriebe deshalb mit unnötig vielen Leuten ihreLeistungen zu sehr hohen Preisen verkauften. Wettbewerb müsse her, sagte man, dann würde alles besser werden.

Zwar wurde, nach dem Verkauf der Betriebe nichts so richtig billiger, die Strom- und Wasserpreise sanken nicht und die Mieten der ehemals städtischen Wohnungen stiegen kräftig, aber das Versprechen auf mehr Freizeit wurde umgehend eingelöst. Anfänglich dachten die Bürger, sie könnten mit der vielen Freizeit gar nichts anfangen. Aber wenn sie dann in den ehemals staatlichen Bahnhöfen lange auf ihren Zug warten mussten oder in den Warteschleifen der privatisierten Telefongesellschaft lieblicher Musik lauschten, dann machten sie sich keine Sorgen mehr. Auch die Gemeinschaftserlebnisse in den Wartesälen der Agentur für Arbeit sorgte für manch geselliges Beisammensein.

Weil nun bald alle staatlichen Unternehmen verkauft waren, aber noch nicht alle Bürger ausreichend Freizeit hatten, kamen die weisen Männer - es soll auch eine Frau dabei gewesen sein - auf die Idee, anderes staatliches Besitztum zu verkaufen. Da das große Land über genug Wasser verfügte, andere Länder aber wenig Wasser hatten, schlug man vor, den Rhein zu verkaufen. Nun war der schwer in ein anderes Land zu transportieren, deshalb wurde er erst verkauft und dann zurück gemietet, so hatte man es schon erfolgreich mit Rathäusern und anderen Verwaltungsgebäuden gemacht. Für die Drei-Meilen-Zonen der Meere, die das Land umspülten, konnte leider kein Käufer gefunden werden, das Wasser galt als zu salzig und Fische enthielt es auch kaum. Auch die Landeswehr wurde von Zeit zu Zeit vermietet, die Zeiten wurden immer länger, und so sollte sie bald in Außerlandeswehr umbenannt werden.

Nun sollte man meinen, dass die Bürger des vereinten Landes glücklich und zufrieden gewesen wären. Weit gefehlt, den einen war es zuviel Freizeit, den anderen zuwenig Geld, die Gazetten des Landes nannten den Zustand gerne "gefühlte Armut". Um diesem Unmut eine Ende zu bereiten wurde das Statistische Amt gebeten, eine Art Kassensturz zu machen. Das Ergebnis war verblüffend: Nach fünfzehn Jahren des staatlichen Schlussverkaufs hatten die Bürger tatsächlich weniger in der Tasche als zuvor (*).

Während eine kleine, natürlich radikale Minderheit behauptete, in der Verfassung des Landes sei festgelegt, dass Enteignungen nur zum Wohle des Volkes möglich seien und nicht das Volk enteignet werden solle, riefen die Weisen mit der Frau an der Spitze: "Papperlapapp, wir haben nur noch nicht genug verkauft, wenn erst die Alpen den Besitzer gewechselt haben und die Autobahnen, dann sind wir alle schuldenfrei und ein glückliches Zeitalter beginnt." Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lügen sie noch heute.

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"Nach Abzug von Preissteigerungen für die Lebenshaltung, standen den Haushalten 2005 im Durchschnitt zwei Prozent weniger Einkommen zur Verfügung als 1991" (Statistisches Bundesamt).

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