Mit der Verkündung des Verteidigungsfalles
geht die Befehls- und Kommandogewalt
über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler über.
Grundgesetz Artikel 115b

Das macht sie nicht gern, die Merkel. Festlegen ist eigentlich nicht ihre Methode. Lieber wartet sie ab, woher der Wind weht und sagt dann, dass sie eigentlich die Erfinderin der Brise ist. Plötzlich und gegen den Trend besteht sie in der "Welt am Sonntag" darauf, dass es keinen Abzug der Bundeswehr geben darf "ohne das Erreichen unserer Ziele". Was mögen das für Ziele sein? Der Endsieg des Karzai-Regimes? Der Sieg jenes Herrschers von Kabulistan, der trotz immenser militärischer Anstrengung der westlichen Allianz in einem acht Jahre dauernden Krieg weder ein tragfähiges politisches Bündnis noch eine selbsttragende Armee hat herstellen können?

Drei Fotos hat die "Welt am Sonntag" der obersten Heeresleiterin auf mehr als einer Zeitungsseite spendiert. Die enge Freundin der Merkel, Friede Springer, war mal wieder großzügig. Schlechte Fotos von der Kanzlerin zu machen ist leicht. Aber so eines taucht in einem Springer-Blatt natürlich nicht auf. Dafür gibt es ein wirklich gutes, aber entlarvendes Bild: Da grinst sie im Profil, selbstzufrieden, fröhlich und schlau. Euch werd ich helfen, sagt das Portrait, die Kanzlerin bin ich, und wer auch immer aus dieser Regierung vom Abzug schwätzt, der muss erstmal mit mir reden, und ich sage nein.

"Es geht um unsere Werte, um Frieden und Rechtsstaat, um unsere Bündnisfähigkeit und die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie." So ein Satz, der aus dem Interview ragt, wie der Fels aus dem Teich der Merkelschen Allgemeinplätze, will überlegt werden. "Wehrhaftigkeit" sieht das Grundgesetz nur dann vor, wenn wir angegriffen werden. Schon wackelt der "Rechtsstaat", denn die Bundeswehr ist gegen Recht und Gesetz in Afghanistan. Ginge es wirklich um "Frieden", müsste die deutsche Armee ihren illegalen Krieg in Afghanistan längst beendet haben. Allein die "Bündnisfähigkeit" ist kein Lügenwort, auch wenn man es ein wenig übersetzen muss: Die Merkel ist nicht fähig, das Bündnis mit den USA aufzukündigen. Hier liegen die "Werte" für eine Minderheit in Deutschland, die am Krieg verdient.

Als es vor langer Zeit in Indien eine Kobraplage gab, zahlte der britische Gouverneur ein Kopfgeld für jede erlegte Kobra. Immer mehr tote Schlangen wurden abgeliefert. Zugleich gab es immer mehr lebende Giftschlangen: Die Inder züchteten Kobras in Massen, um den Geldsegen zu vergrößern. Seither nennt man kontraproduktive finanzielle Anreize den "Kobra-Effekt". Einen solchen Effekt wird die Bundesregierung mit ihrem Taliban-Aussteigerprogramm auslösen: 350 Millionen Euro stellt sie dafür in ihrem neuen Afghanistan-Konzept bereit. Das ist nicht die einzige fragwürdige Zahl, die von der Merkel vor ein paar Tagen verkündet wurde: Auch die Erhöhung der Beschäftigtenquote im Norden Afghanistans auf 75 Prozent gehört zu den Wunschträumen, die eine Bundesregierung in die Welt setzt, um der eigenen Bevölkerung vorzugaukeln, es könne in Afghanistan aufwärts gehen.

Zwar ist der "Verteidigungsfall" nicht verkündet, aber die Merkel übernimmt erkennbar das Kommando über die Streitkräfte: "Pazifismus jedenfalls bringt nach meiner Überzeugung keine politische Lösung" sagt sie in ihrem Interview, und der Leser zuckt zusammen: Die 80 Prozent der Deutschen, die den Afghanistankrieg ablehnen, sind keineswegs Pazifisten. Und eine politische Lösung ist, trotz aller militärischer Anstrengung, nicht in Sicht. Sehen kann man, dass auch die Merkel von den Großmachtträumen der Regierung Schröder-Fischer erfasst ist, wenn sie fabuliert, dass sich "mit der deutschen Einheit . . . Bedrohungen und Verantwortlichkeit geändert" haben. Nachdem über Jahrzehnte die "Gefahr aus dem Osten" für die alte Bundesrepublik als Einschüchterungsprogramm wirksam war, muss jetzt der "Terrorismus" als als Vorwand für jene neue "Verantwortlichkeit" herhalten, die unsere Armee überall dorthin schickt, wo eine größer gewordene Republik Großmachtansprüche durchsetzen will.

Melde gehorsamst Frau Kommandeuse: Für diese neue, gefährliche Großfressigkeit steht die Mehrheit der Deutschen nicht zur Verfügung.