Fest sitzt sie da in der Macht, die verkniffene Serenissima. Die Hände der Merkel sind eng ineinander geschlungen. Der Blick der Kamera geht weit aus dem Kanzleramt, über undefiniertes Grün, in den grauen Himmel Berlins. Vor der Kanzlerin, im melierten Anzug und mit meliertem Blick, Peter Frey der Leiter des Hauptstadtstudios des ZDF. Haben die Russen alle Forderungen erfüllt, ist ihm die wichtigste, die Einstiegsfrage. Machen die denn in Georgien das, was die Kanzlerin und der Herr Frey wollen. Das ist der Rahmen der Inszenierung: Wir, die Deutschen und ihre bedeutende Kanzlerin, wir, so rauscht der Pluralis Majestatis aus der Glotze, wir machen jetzt mal Weltpolitik.
Noch hat die Merkel nichts gesagt, das wird in diesem Sommerinterview, trotz allerlei Antworten, auch ihre Hauptaufgabe sein, da entschlüpft ihr, unversehens, eine Schlüsselformulierung: »Wir kommen den Menschen entgegen, wenn es darum geht, die Kindergeldfrage zu beleuchten.« Wir, die Macht, wir kommen den Menschen gnädig entgegen. Und nicht nur das. Wir werden, während des Entgegenkommens, etwas beleuchten. Von Peter Frey war die tapfere Frage gefragt, ob denn der Aufschwung bei den Menschen angekommen sei. Jene Frage, die, schon vielfach gestellt, eine Routineantwort verlangt. Die Menschen, das ist eine Spezies, die weder Frey noch Merkel kennen. Den Menschen gewährt man gnädig irgentdwas. Vielleicht eine Beleuchtung des Kindergeldes.
Sind Sie auf Ihrer Reise durch die deutschen Bildungseinrichtungen schon mal angebettelt worden, nach einem Frühstücksbrot zum Beispiel, wie es Lehrer mancher Schulen immer wieder erleben? Hätte Frey fragen können. Aber das fragt man eine Kanzlerin doch nicht! Deshalb hat er auch nicht nach den Schulabbrechern gefragt, der Perspektive für Hauptschüler oder nach den kaum vorhandenen Studenten aus der Unterschicht. Was er fragt ist Politklatsch: Ob denn, wenn die Kanzlerin weiter die präparierten Musterschulen besucht, in Rheinlandpfalz auch der Herr Beck dabei sei. Er, Frey habe gehört, dass. . . Das bestreitet die Kanzlerin energisch. Sie denkt an die Zukunft, sagt sie mehrfach auf allerlei Fragen.
Dann, so gegen Ende, nimmt Frey all seinen Mut zusammen: Gibt es einen neuen Kalten Krieg, fragt er die ungewöhnliche Frage, in den letzten Tagen von so ziemlich jedem schon mal jemandem gestellt. Aber, sagt die Merkel treuherzig, die NATO ist kein Bündnis des Kalten Kriegs. Und der Frey lässt ihr das durchgehen, fragt nicht nach, erinnert nicht die Geschichte der NATO. Aber der russische Bär, diese unglaublich originelle Metapher, fällt ihm noch aus dem Mund, dafür hat er wahrscheinlich einmal Politik und Pädagogik studiert.
Immerhin stellt Frey die kühne Frage: Wie wichtig ist Ihnen die Macht? Jetzt sagt die Merkel sicher gleich: Total wichtig, warum soll ich den Job denn sonst machen. Aber das sagt die Merkel gar nicht. Sie sagt: Ich will deutsche Interessen vertreten. Und auch, dass Georgien und die Ukraine schon Mitglied der NATO werden sollen, nicht gleich, aber bald. Jetzt könnte ein richtiger Journalist fragen, ob das denn der Entspannung der Lage diene und was das denn den deutschen Interessen nutze. Aber vor der Kanzlerin sitzt nur Frey. Einer von der Staffage, einer der die Inszenierung der Kanzlerin nicht stören, sondern beleuchten soll.
Irgendwann, in irgendeinem Zusammenhang, sagt die Merkel «Glaubwürdigkeit muss sein«, und kein Stein klirrt durch die Wände des Glashaus, keine Nase wächst der Kanzlerin aus dem Gesicht und auch ihre Beine schrumpfen nicht. Frey wirkt zufrieden. Die Kanzlerin wird sich nicht bei seinem Intendanten über ihn beschweren. Eher im Gegenteil. Vielleicht wird er ja auch mal Intendant. Oder Sprecher einer Regierung. Auch dann wird er geschmackvolle Krawatten tragen und dezente Fragen stellen. Vielleicht darf er sogar mal dezente Antworten geben, das wär doch mal was.