Empört fordert die Kanzlerin, dass jene Soldaten, die in Afghanistan mit Totenschädeln Fangen gespielt haben, bestraft werden. Weite Teile der Republik stimmen in den Chor scheinheiligen Entsetzens ein: Immerhin hatte die Bildzeitung die Fotovorlage gegeben, natürlich nur um zu »Enthüllen«, nicht um Umsätze zu machen. Resümiert man die Reaktionen, dann wäre der Afghanistan-Einsatz schon soweit in Ordnung, wenn nur diese Bilder verschwänden. Schuld sind also irgendwelche unteren Dienstgrade, nicht die Generalität und noch weniger die Regierung. Unterhalb dieser verlogenen Diskussion liegt nun das »Weißbuch« zur Bundeswehr vor. Und wer denkt, es handele sich um eine simple Mohrenwäsche, der irrt. Das Buch ist erschreckend ehrlich.

Vorneweg vorwortet die unsägliche Merkel über »Herausforderungen die sich aus dem internationalen Terrorismus« ergeben: Aber uns liegt kein Buch über Außenpolitik oder über Polizeiaktionen vor, Bereiche ud Themen, die mit dem Terrorismus zu tun haben könnten. In sehr schlichtem Deutsch folgt die Kanzlerin ihrem Vorbild Bush, und rückt vom eigentlichen Auftrag der Bundeswehr, der Landesverteidigung, ab, mag er auch immer in der Verfassung verankert sein. Deshalb wird auch in der zusammenfassenden Präambel des 150 Seiten starken Papiers die »außenpolitische Handlungsfähigkeit« als erstrangiger Auftrag der Armee bezeichnet, gefolgt von ihrem »Beitrag zur Stabilität im europäischen und globalen Rahmen«, erst dann, abgeschlagen auf dem Platz drei kommt die »Nationale Sicherheit« vor.

Seit 1990 haben sich rund 200 000 deutsche Soldaten im Ausland herumgetrieben, sagt stolz der Verteidigungsminister und lächelt in die Kamera: Das Reisebüro Franz Jung floriert, sagt uns das zufriedene Grinsen. Und während ranghohe amerikanische und englische Soldaten in den letzten Wochen Kritik an ihren Auslandseinsätzen hören lassen, schweigt unsere Generalität, wie auch die Medien schweigen. Deutsche Soldaten sichern im Kongo Wahlen, bei denen noch im August der eine Präsidentschaftskandidat (Kabila) den anderen (Bemba) versucht hat zu ermorden. Der andere hat überlebt, dank seiner Leibwache, die europäischen Streitkräfte waren nicht zugegen. Aber unbeirrt erzählt uns die Regierung, es ginge um die Demokratie im Kongo. Dieser Unsinn wird, kaum kommentiert, gesendet und gedruckt.

Um solche »Friedenseinsätze« wie den im Kongo effektiv zu leisten wünscht das Weißbuch, dass die Bundeswehr »konsequent auf Einsätze« ausgerichtet wird. Wieder ist von »Verteidigung« nichts zu lesen. Und weil man diesen Paradigmenwechsel, der vom Grundgesetz natürlich nicht abgedeckt ist, irgendwie begründen muss, werden neue »Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik« erfunden: Unser armes Land würde »zunehmend mit den Folgen innerstaatlicher und regionaler Konflikte konfrontiert« erzählen die Verfasser, haben aber nicht die Güte ihre Behauptung zu belegen. In Tschetchenien ist der Konflikt ganz schön regional, infolge amerikanischer Politik zerbricht der irakische Vielvölkerstaat und in Sri Lanka zerreißt ein Bürgerkrieg das Land und wir senden keine Soldaten. Das ist gut so, da haben wir nichts zu suchen. Aber warum uns der Afghanistankonflikt oder der kongolesische Bürgerkrieg »konfrontiert« und mit wem oder was, dass mögen die Autoren uns lieber nicht erklären.

Deutsche Truppen finden sich in Georgien, Äthiopien, am Horn von Afrika und in libanesischen Gewässern, dort lassen wir uns am liebsten von israelischen Kampfflugzeugen beschießen. Das nehmen wir mit großer Geduld hin, denn die »Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik«, sagt das weise Buch, habe mit »gesicherter Rohstoffzufuhr« und »sicheren Transportwegen« zu tun. Über den »Kampf gegen den Terrorismus« als wohlfeilen Vorwand sind die Verfasser weit hinaus, man ist offen und ehrlich, wenn man als Begründung von der Wandlung einer Verteidigungs- in eine internationale Zuschlagsarmee die Notwendigkeit »wettbewerbsfähiger Energieversorgung« hinterher schiebt: Billiges Öl verlangt eben teures Militär. Aber wann, bitte, gab es zum letzten mal preiswertes ÖL?

So richtig billig sind nur die Lügen, mit denen die Regierung die militärischen Einsätze im Ausland, zum Beispiel in Afghanistan, zu bemänteln sucht. Es handele sich um eine Aufbautruppe wird erzählt, verschwiegen wird die Aufgabe der deutschen Spezialkräfte an der Seite der NATO-Truppen: Mehr als 3.000 Menschen kamen in den vergangenen Monaten ums Leben, primär Zivilisten natürlich. Wohl deshalb erwähnt das Weißbuch »Bedrohungen, Konflikte und Krisen im globalen Umfeld« wenn es um den Platz der Bundeswehr in der NATO geht. Dass der NATO-Vertrag den »Bündnisfall« nur dann erkennen kann, wen eines der NATO-Länder angegriffen wird und von einem solchen Angriff nichts bekannt ist, (die Terrorflieger des 9/11 kamen alle nicht aus Afghanistan und auch Herr Bin Laden war saudischer Bürger) das macht ja nix.

So ein Weißbuch kann, wenn es über das Ausland, in dem wir laut Grundgesetz nichts zu suchen haben, handelt, richtig ins Schwärmen kommen: da will man, offenkundig mit der deutschen Armee, den »Reformprozess in der Ukraine« unterstützen, als ob dort nicht genug deutsche Soldaten des letzten große Krieges in der Erde lägen. Und wenn die Weißbüchner gerade mal da sind, wo wir ganz sicher militärisch nicht sein dürfen, dann wird daran erinnert, dass »der südliche Kaukasus und Zentralasien« an einer »Nahtstelle« liegt und wo genäht wird, da wird auf Dauer auch was eingefädelt. Wohl deshalb betont das Buch: »Nur Nationen mit einer leistungsfähigen Rüstungsindustrie haben ein entsprechendes Gewicht bei Bündnisentscheidungen« und macht sich dann gleich seitenlang Sorgen um den deutschen Waffenhandel, als sei es eine Akte aus dem Beschaffungsamt.

Obszön ist nicht der Soldat, der mit Totenköpfen spielt. Obszön sind jene, die ihn in Länder senden in denen er nichts zu suchen hat, mit Aufträgen, die keiner verstehen kann und Perspektiven, über die niemand nachgedacht hat. Pervers sind jene Heuchler in Amt und Würden, denen innenpolitisch nichts einfällt und die sich mit Auslandseinsätzen dicke tun wollen. Nur so ist der schwarze Hintergrund zu begreifen, vor dem das Bundeskabinett ein relativ ehrliches Weißbuch veröffentlicht hat, dass den neuen, gefährlichen Weg der Bundeswehr beschreibt, einen Ausweg aus Afghanistan aber nicht weisen will.