Im "Kerker des Antisemitismus" sieht Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der deutschen Juden, die Linkspartei und meint, in diesen Kerker habe sich die Partei selbst begeben. Graumanns Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" ist nicht die erste grobe Lüge über linken Antisemitismus, aber er ist, wegen der Funktion des Autors, die bisher gewichtigste. Und er ist ein Muster der Methode, wie man Antisemitismus erfindet, wenn man ihn braucht. In Bremen zum Beispiel soll die dortige Linkspartei das Existenzrecht Israels als Hirngespinst bezeichnet haben. Behauptet Graumann. Wahr ist: In einer Leser-Debatte auf der Website der Linken hat irgendjemand diesen kapitalen Unsinn platziert. Dass die linke Bundestagsfraktion schon im letzten Jahr auch "wegen der furchtbaren Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden" das Existenzrecht Israels deutlich unterstrich, weiß Graumann zwar, aber das ist für ihn, weil er diffamieren will, als Faktum nicht brauchbar.

Für weitere Fälschungen muss die DDR herhalten, in der laut Graumann "nur allzu oft die jüdischen Opfer ausgeblendet wurden". Mal abgesehen davon, dass die Linkspartei nicht die DDR ist: Drei Mitglieder des allmächtigen Politbüros der SED, (Axen, Hager, Norden) waren jüdischer Herkunft, undenkbar im anderen deutschen Staat. Als 1962 der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann mit seiner Erzählung "Das Judenauto" den Holocaust thematisierte, kam das Wort "Auschwitz" in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik einfach nicht vor. Dass Schriftsteller jüdischer Herkunft, wie Anna Seghers, Arnold Zweig oder Peter Edel, aus dem Exil oder dem Konzentrationslager kommend, die DDR als ihren Staat begriffen: Das alles weiß Graumann natürlich, wie er auch wissen könnte, dass der erste deutsche Roman, der sich mit der Vernichtung der Juden auseinandersetzte, zu einer Zeit in der DDR erschien, als die Bundesrepublik von einem Kanzler mit Nazi-Parteibuch regiert wurde. Aber wenn man eine dringend notwendige Kampagne führen will, dann ist die Wahrheit häufig hinderlich.

Und eine Kampagne gegen die Linkspartei ist - in den Augen des deutschen Mainstreams - unbedingt nötig. Denn im September steht die internationale Anerkennung eines palästinensischen Staates auf der Tagesordnung. Die einzige deutsche Partei, die diese Anerkennung offen unterstützt, ist eben die LINKE. Da ist dann jeder absurde Vorwurf recht, wenn Graumann zum Beispiel vom "pathologisch blindwütigen Israel-Hass" in der LINKEN schreibt und wissen könnte, dass er mit dem Begriff "pathologisch", also "krankhaft", das Vokabular der Nazis gegen Andersdenkende benutzt. Aber wenn man den Nahost-Konflkt friedlich lösen will, dann muss man anders denken als Graumann, dem dazu nur die Rundum-Verteidigung Israels einfällt, darin der sturen Politik Netanjahus blind folgend und vom "jüdischen Staat" sprechend, obwohl mehr als 20 Prozent der israelischen Staatsbürger ganz sicher keine Juden sind.

Natürlich nutzt Graumann gern das alte, schlechte Argumentationsmuster der Einseitigkeit: Warum es denn keine linke Kritik an der Hamas gäbe und ein linkes Schweigen, "wenn es um die Steinigung von Frauen" ginge, fragt der Zentralrats-Chef rhetorisch. Hat man von Graumann schon mal Kritik an der aggressiven israelischen Siedlungspolitik gehört, oder auch nur einmal an den deutschen Waffenlieferungen an das finstere Saudi Arabien? Einmal mehr begreift sich der Zentralrat der Juden in Deutschland als Agentur israelischer Regierungspolitik. Dass es auch in Israel kritische Stimmen zur Betonpolitik Netanjahus gibt, dass in der Lösung des Nahostkonfliktes auch der Schlüssel zur Wandlung der arabischen Länder liegt, scheint dem Präsidenten des Zentralrates völlig gleichgültig zu sei. Er gehört zu denen, die nur zu gern die LINKE in einem Kerker sehen wollen, der das alternative Denken verbietet. Dass solche Denkverbote den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis nur verschärfen, ist ihm offenkundig gleich. Aber so ist es mit ideologischer Einseitigkeit: Sie macht dumm.