Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür
und ich weiß, er bleibt hier
Marianne Rosenberg
Man hatte schon Dienstwagen zum Thema machen müssen und blanke Busen, weil der Bundestagswahlkampf 2009 partout keinen Inhalt bekommen wollte. Als dann das obszöne Lobbyisten-Essen in Angelas Herberge beinahe zu einem echten, inhaltlichen Thema werden drohte, warf man die Doktorspiele an die Medienfront: Rund 100 Professoren sollen für Geld Doktortitel verhökert haben. Da empörte sich die Volksseele. Denn der deutsche Doktor steht für Seriosität und Wissenschaft, er ist Teil des Namens, steht im Pass und natürlich an der Tür: Doktor, wie gelahrt das klingt!
Wer annimmt, dass die neuen, medialen Doktorspiele primär unpolitisch sind, der irrt: Jeder sechste Bundestagsabgeordnete trägt den Doktor vor sich her, weiß sich eines akademischen Grades sicher, der ihn weit über den Bevölkerungsdurchschnitt hebt. Seht her, sagt der Titel, ich weiß was, man muss mich wählen. Ausgerechnet die FDP liegt an der Spitze der akademischen Titelträger. Ihr promoviertes Haupt, Dr. Guido, untersuchte damals, als Chef der liberalen Nachwuchsorganisation, das Thema "Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen". Ein kleiner Karriere-Schritt für Westerwelle, fraglos ein großer für die Menschheit.
Der scheidende SPD-Fraktionsvorsitzende, Dr. Peter Struck, hat über "Jugend-Delinquenz und Alkohol - ein Beitrag zur Persönlichkeit des Alkoholtäters" promoviert, das gibt keineswegs Hinweise zu seiner persönlichen Verfassung sondern ist, in einem Land mit dem weltweit höchsten Bierkonsum, ein wesentliches Rüstzeug für den deutschen Parlamentarier. Dem sozialdemokratischen Bundestagskandidaten Dr. Steinmeier sollte man seinen Promotionstitel "Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit" nicht vorwerfen. Er hat, als er unter Schröder noch "Frank-mach-mal" hieß, mit der Agendapolitik der SPD einen soliden Beitrag zur Obdachlosigkeit geleistet, den Pennern also gezeigt, wo man ohne Doktor hingehört.
Weitaus bedenklicher ist, dass Steimeier zu seiner Studienzeit in der Redaktion der Zeitschrift „Demokratie und Recht“ des Pahl-Rugenstein-Verlags saß, welcher der Beobachtung des Verfassungsschutzes unterstand und bei Eingeweihten "Paul-Rubelschein-Verlag" hieß (obwohl dort nie Rubel sondern Ostmark geflossen waren). Doch Frank-Walter hat diese linke Verirrung weit hinter sich gelassen. Angela Merkel, die ihren Doktor der Physik über den "Zerfallsmechanismus" gemacht hat, muss sich häufig gegen unwissenschaftliche Vorwürfe wehren: Bierschaumzerfall sei ein im Physikunterricht gerne genutztes Analogon zum radioaktiven Zerfall, unterliegt doch der Einsatz von Bier bei weitem nicht so strengen Bestimmungen wie der Einsatz radioaktiver Substanzen. Ob Struck und Merkel sich deshalb so gut verstanden haben?
Bei den drei Wahlkämpfern des Wochendes im Saarland, Thüringen und Sachsen fällt eine gewisse Nacktheit auf: Kein Doktor schmückt die Namen der Ministerpräsidenten. Immerhin vermag Peter Aloysius Müller (Saarland) diesen Mangel fulminant damit auszugeichen, dass er 2004 vom Brauerbund zum "Botschafter des Bieres" ernannt wurde. Eine inhaltliche Nähe zu Struck und Merkel ist unverkennbar. In Sachsen muss sich Tillich mit schäbigen drei Monaten eines Lehrgangs der DDR-Akademie für Staat und Recht begnügen, die er lieber nicht diskutieren will. Dieter Althaus, der aus Verzweiflung über seinen Doktor-Mangel mit einem Skiunfall punktete, hätte das nicht nötig gehabt: Immerhin ist er, als Sohn eines Gründungsmitglieds der DDR-CDU, eingebettet in die wundersame deutsche Geschichte und nicht zuletzt auch Leutnant der "Nationalen Volksarmee".
Einen schneidigen Reserveoffizier gibt auch der Bundespräsident, Horst Köhler ab, der bei seinem jüngsten Besuch der Schnellen Eingreiftruppe, kurz vor deren Afghanistan-Einsatz, nicht nur stolz das grüne Barett der Einheit zum weißen Hemd trug, sondern auch zu sagen wußte: "Die Soldaten wissen, das auch Kampfeinsätze anstehen". Zu solch überraschender Erkenntnis hätte es seiner Promotionsarbeit mit dem Titel "Freisetzung von Arbeit durch technischen Fortschritt“ nicht bedurft. Für Nichtakademiker sollte der Titel ins Ehrliche übersetzt werden: "Wie kann man mit immer mehr Technik immer mehr Leute rauswerfen?" - "Ich gele, als bin ich" scheint der Wahlspruch des hochmögenden Herrn zu Guttenberg zu sein, der seinen Doktor dringend braucht, hat er es doch nur zum Unteroffizier bei den Gebirgsjägern gebracht. Immerhin zeigt das Vorwort seiner Dissertation mit dem Satz von "meiner verwegenen Charakter- und Lebensmelange" eine gewisse Verwirrung.
Das Medientheater von gestern ist die Dummheit von morgen: So müssen denn in einer Zeit, in der das soziale Brot knapper wird, die Doktorspiele einem Volk vorgeführt werden, das nach den Wahlen eine Rosskur erwarten darf, deren bittere Medizin schon jetzt von den diversen Doktores, ob Gelb, Schwarz oder Scheinrot, zusamengerührt wird.