Als Kurt B. eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er in seinem Bett eine Zeitung mit der Überschrift `SPD zu einem Nichts verwandelt´. Kurt B., der die Überschrift nicht glauben wollte, sie anfänglich als Teil eines Traums abtat, überlegte: Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe und alle Narretei vergäße? Und Narreteien hatte es in letzter Zeit rund um die SPD wahrlich genug gegeben. Da war damals dieser Schröder Inhaber der SPD gewesen. Und weil er die SPD-Firma modernisieren wollte, hatte er alles soziale Gedöns entfernt und da stand die SPD nackt und bloß, den kalten Winden schrecklicher Wahlen ausgesetzt. Ach Gott, dachte Kurt B., was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt! Tagaus, tagein auf der Reise, ein immer wechselnder, nie andauernder, nie herzlich werdender menschlicher Verkehr. Der Teufel soll das alles holen!

»Kurt, rief es aus dem Nebenzimmer, Kurt, wolltest du nicht wegfahren?« Kurt B. erschrak, als er seine antwortende Stimme hörte, die wohl unverkennbar seine frühere war, in die sich aber ein nicht zu unterdrückendes, schmerzliches Piepsen mischte. Wie konnte das sein? Hatte er über Nacht die Stimme von Frau Y. aus Hessen angenommen? Aber vielleicht war die Veränderung der Stimme einhergegangen mit der Veränderung der Stimmen bei den Wahlen, einer Berufskrankheit der Politiker. Eine andere Person mischte sich aus dem Nebenzimmer ein, es war der frühere Prokurist der SPD, Franz M.: »Ihre Leistungen in der letzten Zeit waren also sehr unbefriedigend; es ist zwar nicht die Zeit, um besondere Ergebnisse zu erzielen, aber eine Zeit, um keine Ergebnisse mehr zu erzielen, gibt es überhaupt nicht, Herr B., darf es nicht geben.«

Warum nur war Kurt dazu verurteilt, bei einer Firma zu dienen, wo man bei der kleinsten Versäumnis gleich den größten Verdacht fasste? Sogar der Hamburger Filialleiter, Michael N., hatte ihm eine politische Geisterfahrt vorgeworfen. Nur weil er einmal Nein zu einer Kooperation mit einem Mitbewerber gesagt hatte und ein andermal Ja. Der Hamburger hatte sogar beim Leben seiner Kinder geschworen, dass er mit den Konkurrenten nie und nimmer kooperieren werde. Waren denn alle Mitarbeiter der Firma samt und sonders Lumpen, fragte sich Kurt, die leichtfertige Eide schworen, um ihres persönlichen Vorteils willen und sogar das Leben ihrer Kinder auf dem Altar irgendwelcher Wahlerfolge zu opfern bereit waren? Es gab einen lauten Schlag, als Kurt B. sich mit aller Macht aus dem Bett schwang und auf dem Rücken landete.

In der Rückenlage erinnerte er sich daran, dass sogar sein Kollege Frank-Walter St. vom Außendienst an ihm gezweifelt hatte: »Ich glaubte Sie als einen ruhigen vernünftigen Menschen zu kennen, und nun scheinen Sie plötzlich anfangen zu wollen, mit sonderbaren Launen zu paradieren«, hatte der ihm vorgeworfen, nur wegen dieser Kooperationsfrage. Hatten sie denn alle vergessen, dass er damals, als kaum einer noch einen Gebrauchtwagen von der SPD-Firma kaufen wollte, so manches soziales Gedöns wieder anmontiert und damit begonnen hatte, den Karren aus dem Dreck zu ziehen? Die Stimmen aus dem Nebenzimmer wurden wieder lauter. Einer, der Kurt B.´s Tür aufgerissen hatte, rief: »Sehen Sie nur mal an, die SPD, sie ist krepiert; da liegt sie, ganz und gar krepiert!«

Kurt B. erwachte schweißgebadet. Er war sicher, der Niedergang der SPD konnte nur ein Traum in einem Traum gewesen sein. Er lebte und auch die SPD existierte noch. Zwar lag eine Zeitung auf seinem Bett. Aber dort stand schwarz auf weiß, dass in den westlichen Gebieten, mit kleinen Ausnahmen, die SPD immer noch die zweitstärkste Kraft war. Nur im Osten war sie überall auf den dritten Platz gerutscht. Man schrieb von einem Rekordtief für seine Firma. Aber steckte nicht in dem Wort Rekord auch eine Hoffnung? Immer noch konnte er, Kurt B., Rekorde erzielen. Dieser Gedanke war für Kurt eine große Aufmunterung. Er würde einfach aufstehen und sich widersetzen. Und dann könnte sich die SPD bald wieder in eine große Volksfirma verwandeln. Nur aufstehen müsste er noch.

* Ziemlich frei nach Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung"