Es ist ein totes Gedenken in diesen deutschen Tagen: Kreuze gibt es zuhauf, auf Gräbern und auch an Hälsen wieder. Und eine Kanzlerin verbittet sich Kritik an einem Krieg - "und zwar von wem auch immer" - für den es nirgends eine Legitimation gab und gibt. Nicht aus dem internationalen Recht und aus dem nationalen schon gar nicht. Es sei, wir wären angegriffen worden. Wir, die Deutschen, wurden von nicht einem Afghanen angegriffen. Und wenn es jetzt einer täte, Jahre nachdem wir den Krieg nach Afghanistan getragen haben und hunderte Tote später, wäre er in jenem Recht, dass man die Selbstverteidigung nennt: Kein Attentat eines Afghanen auf eine Kanzlerin, einen Bundespräsidenten, Außen- oder Verteidigungsminister könnte Unrecht genannt werden. Erst recht nicht seit ein paar Tagen. Der Attentäter dürfte offen und berechtigt sagen: Ab heute wird zurück gemordet.

Noch steht die Zahl der Toten des von Deutschen befohlenen Raketenangriffs nicht endgültig fest, noch haben die afghanischen Witwen und Waisen kein nichts entschädigendes Blutgeld bekommen, da kotzt der Bundespräsident am neuen "Ehrenmahl" für gefallene Bundeswehrsoldaten seine Rede auf den Tisch der deutschen Öffentlichkeit: Das Ehrenmal, sagt Köhler, ermuntere die Menschen darüber nachzudenken, "welchen Preis wir zu zahlen bereit sind für ein Leben in Freiheit und Sicherheit". Freiheit für wen? Für jene, die an der nächsten, über afghanischen Boden führende Pipeline zu verdienen hoffen? Sicherheit vor wem? Vor dem Hass, den wir selbst in Afghanistan ausgelöst haben? Es ist die feige Sicherheit derer, die hinter ihren Schreibtischen, in ihren Hochsicherheitsämtern den Krieg als von irgendwoher gegebenes Schicksal ausgeben: "Unsere Bundeswehr ist zu einer Armee im Einsatz geworden", müssen wir von Köhler hören, als wäre die Wandlung von der Verteidigungsarmee zum Aggressionsinstrument eine zufällige, biologische Mutation.

Es ist eine übergrosse Koalition aus CDU-SPD-FDP-GRÜN, die sich den Krieg, der nun Jahre länger dauert als der Zweite Weltkrieg, zu eigen gemacht hat. Zwar posiert Herr Westerwelle im Kostüm der Opposition, wenn er die Kommunikation des Verteidigungsministers im Mordfall kritisiert, aber natürlich ist er für den Krieg, zumindest vorläufig, oder so ähnlich. Und wenn Jürgen Trittin, der Vizefraktionschef der GRÜNEN, über den Verteidigungsminister nölt, der habe "einen hilflosen Auftritt" gezeigt, dann lügt er, für seine kleine Frechheit um Entschuldigung bittend, hinzu: Die Bundeswehr sei in Afghanistan "nicht im Krieg". So fügt sich eine einst pazifistische Partei aufs Schönste dem Wunsch, nach allen Seiten offen zu sein. Das nächste, wohldotierte Amt im Auge, die Sabberfäden der Machtgier noch am lächelnd verkrampften Mund. Kein Wahlkampfthema sei der "Vorfall" in Afghanistan, tönt aus öffentlich-rechtlichem Hals, eher eine Perfidie, wenn die LINKE ihn dazu mache. Die Lafontainesche Forderung nach schnellem Abzug wird von Herrn Steinmeier als "unpolitisch und unhistorisch" abgekanzelt. Was mag dem alternden Agentenführer denn politisch sein? Einen Helm zum Gebet abzunehmen? Und was historisch? Weitere Stimmenverluste der SPD?

Was der FDP-Chef Westerwelle im Kopf hat, außer seinem dringend Wunsch nach einer schwarz-gelben Koalition, weiß keiner so recht. Aber die Merkels, Steinmeiers und Kühnasts wissen natürlich ganz genau, dass sich die deutschen Soldaten in Afghanistan nicht werden halten können. Sie wissen inzwischen, dass in Afghanistan nichts zu siegen ist, dass der Abzug schneller kommen wird, als sie geplant hatten und ihnen lieb ist. Doch ohne jeden erkennbaren Erfolg. Aber ihre Wähler wollen sie das vor der Wahl nur ungern wissen lassen: Ein über Jahre sorgfältig gepflegtes Lügengebäude würde zusammenbrechen: Dass die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt würde. Doch scheint es, dass die deutschen Wähler nicht alle so dämlich sind, wie es die übergrosse Koalition sich wünscht: Umfragen melden Zuwächse bis zu 14 Prozent für die Linkspartei. Es scheint, eine nicht kleine Menge von Deutschen hat gelernt. Dass der Krieg, der nicht der Verteidigung dient, nichts anderes als Mord ist. Und dass ein wie auch immer geartetes Gedenken an jene, die in ungerechten Kriegen sterben, obszön ist.