Gutes Wetter hier: Ein Café am Straßenrand, in der Sonne, eine junge Frau mit langen Haaren spielt irgendetwas Klassisches auf ihrer Geige. Schön hier. Und so musikalisch. Der Espresso schmeckt. Na sicher, Sie wissen es, ich weiss es, und die Regierung könnte es wissen: Die Frau mit den langen Haaren hat den Abschluss einer Musikhochschule und keine Arbeit. Hätte man ihr auch vor dem Studium sagen können. Hätte sie doch Elektrotechnik studiert, da gibt es nur ein paar Tausend Arbeitslose, bräuchte sie jetzt nicht vor dem Café zu fideln. Andererseits: Wer würde dann den schönen Frühsommertag mit Klassik veredeln?

Alles wird gut: Es gibt rund eine Million Arbeitslose weniger. Die Konjunktur zieht an. Eine stolze Regierung preist sich selbst: Seht her, nur noch lächerliche vier Millionen Arbeitslose, wer die Koalition gewählt hat, hat wohl getan. Und was hat die Koalition dafür getan? Nichts. Denn die Wege des Kapitalismus sind göttlich, also unerforschlich. Bis auf das eine Gesetz: Kann der Lohn gedrückt werden, kann der Unternehmer mehr verdienen, und wenn er mehr verdient, kann er mehr Leute einstellen. Es handelt sich also um ein Kann-Gesetz. Wäre es ein Muss-Gesetz, dann wären die Arbeitslosenzahlen in Lateinamerika ganz niedrig. Oder, um dem Tellerrand der Regierungschefin nahe zu kommen, es gäbe in Mecklenburg-Vorpommern gar keine Arbeitslosen mehr.

Denn im Osten unseres sonnigen Landes sind die Löhne die niedrigsten. Eine Friseurin bekommt kaum drei Euro in der Stunde. Ein Kellner ein wenig mehr. Und so fort. Blöd ist, dass es ausgerechnet in Mecklenburg-Vorpommern die meisten Arbeitslosen gibt. Die Friseurin bekommt also weniger Gehalt als ein Hartz-IV-Empfänger monatlich mit Wohngeld. Würde man den wirtschaftsliberalen Empfehlungen folgen, dann senkt man den Sozialempfängern die monatliche Zuwendung, das spornt die Eigeninitiative an und wir könnten mit noch mehr kultureller Unterhaltung vor unseren Cafés rechnen. Und noch mehr Leute würden für niedrigste Löhne in den Cafés arbeiten, der Espresso könnte billiger serviert werden und fast alle wären glücklich.

Der Markt, sagen die Wirtschaftsweisen, sagt die Regierung, sagen fast alle Leute mit einem Jahreseinkommen über hunderttausend Euro, der Markt regelt die Wirtschaft über Angebot und Nachfrage. Wenn es viele Arbeitslose gibt, muss die angebotene Arbeit billiger werden. Sonst wird nichts nachgefragt. Wer fragt nach den rund sechs Millionen Menschen, die von ihren Löhnen und Gehältern nicht leben können? Scheinbar auch die Koalition: Sie verhandelt über gesetzlich festgelegte Mindestlöhne. Über das Renteneintrittsalter, das sie gerade erhöht hat, will sie nicht verhandeln. Denn wenn wir alle länger arbeiten ist das sozial. Die Alten leisten mehr und die Jungen können sich nichts leisten. Genauer: Nach den Marktgesetzen sind sie länger im Angebot, also potentiell billiger, also senken sie, obwohl sie gar nicht in Arbeit kommen, die Zahl der Arbeitslosen. Wer das nicht versteht, der fragt seinen Arzt oder Apotheker.

Nicht, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn Sie demnächst im Café sitzen. Sie müssen, der Logik des Marktes folgend, sogar häufiger ins Cafe´gehen, wenn Sie ihr Gewissen beruhigen wollen. Denn jeder Espresso, den sie bestellen, steigert den Umsatz und damit die Nachfrage. Dann kann der Caféhausbesitzer noch einen Kellner einstellen. Und wenn Sie noch mehr Espresso trinken, dann kann er dem Kellner sogar mehr Gehalt geben. Dann könnte der der Musikerin mit den langen Haaren ein paar Münzen in den aufgeklappten Geigenkasten werfen. Dann würde die, weil ihr Betteleinkommen sich sprunghaft erhöht hat, kürzer spielen. Das musikalische Angebot sänke und, weil Sie ein Kulturfreund sind, ihre Verweildauer im Café auch, sie tränken weniger Espresso und alles wäre wie zuvor.

Wenn jetzt jemand auf Sie zukäme und Sie für die Caféhausmisere verantwortlich machen wollte, dann machen Sie es wie die Regierung: Sie hätten, sagen Sie, alles getan, um die Konjunktur anzukurbeln. Schuld sei die Faulheit der Musiker. Denen müsse man die Betteleinkünfte besteuern, dann hätten die weniger im Kasten, seien also gezwungen länger zu arbeiten, würden dann mit längerem Fideln die wirtschaftliche Atmosphäre verbessern und wir wären endlich mit den Chinesen konkurrenzfähig. Wenn Sie das ohne rot zu werden in eine Kamera erzählen können, dann können Sie auch Kanzlerin werden oder Arbeitsminister.