Der Spuk ist vorbei.
Roland Koch


"Das bürgerliche Lager kann mit Wirtschaftskompetenz punkten". Ein Satz wie in Bronze gegossen, bedeutend, gewichtig und natürlich völlig hohl. Doch geisterte dieser Satz, in Vorbereitung der Hessenwahlen, seit Wochen durch die Medien, goss sich in die Hirne der armen, verunsicherten Wahlbürger und triumphierte am Wahlabend: Das "bürgerliche Lager" gewann die Wahl in Hessen. Ach, könnte man sie doch dort eingesperrt sein lassen. Die bürgerlichen Funktionsträger unter sich. Dürften sie doch dort mit ihrer "Kompetenz" vor sich hin spielen, man müsste ihnen nicht Punkt für Punkt nachweisen, dass sie vielleicht etwas vom Mogeln verstehen, oder vom Scheinbaren, das aus dem Unsichtbaren stammt, oder vom Wahlkampfschaum, ausgeschüttet in den Äther, wiederauferstanden in den Spalten der Zeitungen.

Die Hessenwahl beweist, dass es an der Zeit ist, den Wähler-Führerschein einzuführen. Das wäre ein Lappen, der den Einzelnen berechtigen könnte seine temporären Führer zu wählen. Dem Wähler-Führerschein ginge natürlich eine Prüfung voraus. Die erste Frage, die so ein Hessen-Wähler hätte beantworten müssen, wäre, ob er denn bis 18 zählen könne. Gelänge ihm dies, dann wüsste er auch sicher, dass die bürgerliche Regierung in Berlin, begleitet vom heftigen Kopfnicken des Roland Koch-Lagers, gezählte 18 Milliarden Spielgeld in die Commerzbank gepumpt hat, damit die Commerzbank die Dresdner Bank kaufen kann. Denn die wirtschaftliche Kompetenz beginnt für das bürgerliche Lager natürlich damit, dass man Geld ins Geld wirft, so wie es nur der verrückt gewordene Bauer kann, wenn er Heu ins Heu wirft, statt das Vieh damit zu füttern.

Mit exakt nicht mehr als weiteren 18 Milliarden will das Bürger-Lager das Vieh füttern, sprich Investitionen vornehmen, wo dann aus dem Geld Dinge entstehen, Produkte und Leistungen und das, was man Mehrwert nennt, jene wunderbaren Größen, aus denen dann neue Arbeitsplätze resultieren könnten. Aus den 18 Milliarden Bank-Hilfe-Geld entsteht kaum mehr als Kurswert. Hier käme dann die Zusatzfrage an den Wahl-Prüfling: Und was entsteht aus dem Kurswert? Die richtige Antwort wäre: Mal mehr oder weniger Kursgewinn, ganz sicher aber Arbeitsplatzverluste. Denn geht es der Bank schlecht, dann muss sie rationalisieren. Und geht es ihr gut, dann schmeißt sie Leute raus, damit der Kurs weiter steigt.

Eine nächste Frage gälte dem Erinnerungsvermögen des potentiellen Wählers und dem Test, ob er denn wenigstens ein halbes Jahr weit zurückdenken könne. Wer hat damals, was ja wirklich nicht so lange her ist, dem wilden, freien Markt und seiner wunderbaren Ungeregeltheit gehuldigt? Das Lager. Wer wies jeden staatlichen Eingriff in die Wirtschaft als unsittliches Verbrechen an der kapitalistischen Ökonomie zurück? Das Lager. Wer wußte ganz genau, wie die Selbstheilungskräfte des Marktes jede noch so schreckliche Verkrüppelung des Sozialen beseitigen würden? Das kompetente Lager. Diese unglaubliche Kompetenz liegt natürlich auch darin begründet, dass die bürgerlichen Lageristen gespickt sind mit Beratern aus der Wirtschaft: Schmiergeld-Pierer zum Beispiel. Oder Stinkefinger-Ackermann. Oder Renten-Zocker Rürup. Alles ehrenwerte Kompetenzler.

Nach einer kleinen Zwischenfrage, wie oft der staatliche Zuschuss für die Hypo Real Estate erhöht worden ist (zwei mal) und wie häufig Kanzlerin und Finanzmister gesagt haben "mehr gibt es aber nicht" (zwei mal), käme die Großfrage: Warum rettet die Bundesregierung durch den Staatsbetrieb Post die Deutsche Bank? A) Weil sie kompetent ist, B) Weil ihr einfach nichts anderes eingefallen ist oder C) Weil es sonst auffallen würde, dass alle Krisenpakete nicht groß genug, sind um das Loch im Kopf des bürgerlichen Lagers zu stopfen? Wer mit A) geantwortet hätte, dem wäre dann weder die Teilnahme bei der Hessenwahl noch bei den Bundestagswahlen gestattet worden. Die mit der B-Antwort wären zusätzlich zum Einbürgerungskurs verpflichtet worden, um zur Hessenwahl zugelassen zu werden.

Nun wäre so ein Wahl-Führerschein natürlich eine diktatorische Maßnahme. Während Millionen Arbeitslose und Obdachlose, garniert mit einer geringeren Zahl hirnloser Politiker, ebenso natürlich treffliche Beweise für Demokratie sind. Und weil die Demokratie gestärkt werden muss, brauchen wir mehr Arbeitslose, Obdachlose und Lagerkompetenz. Da kann man nach der Hessenwahl beruhigt sein: Die Demokratie ist gestärkt aus ihr hervorgegangen.

Der schreckliche "Spuk" der Veränderung allerdings ist nicht aufgehoben, nur aufgeschoben.