»Es ist soviel schöner Sinn und Klang, wenn man Deutschland sagt, und Deutschland meint, und man soll sich dieser Liebe nicht schämen«, schreibt der Schriftsteller Feridun Zaimoglu. Und der ist 1964 in der Türkei geboren und gläubiger Moslem. Im vorliegenden Entwurf der CDU-eigenen »Grundsätze für Deutschland« findet sich ein solcher Satz nicht. Statt dessen tritt die Merkel-CDU das Pedal der Jesus-Orgel bis zum Anschlag durch: Die Politik der CDU, so wird im Papier behauptet, beruhe auf dem »christlichen Verständnis vom Menschen« und der Mensch sei »von Gott nach seinem Bilde geschaffen« deshalb gehe es um die Bewahrung der »christlich geprägten Wertgrundlagen«.

Weder Neues noch Altes Testament kennen das Wort »Subsidiarität« - und auch die wenigsten aus dem Prekariat. Das erlebt die Bedeutung dieses Wortes, unter den Grundwerten der Union alleine vier Mal aufgeführt, ganz praktisch als Privatisierung sozialer, also gesellschaftlicher Probleme, zugunsten der Entstaatlichung, der Verantwortungslosigkeit des Staates. Parteiprogramme der Mitte, der relativen Zufriedenheit mit den Zuständen wie sie sind, mühen sich immer allen alles zu bieten. Doch im Einerseits der Besitzstandswahrung und dem Andererseits der sozialen Beschwichtigung schimmert unter der Überschrift »Gerechtigkeit« die Union der Besserverdienenden auf, die man doch so gerne unter dem Mantel christlicher Solidarität versteckt gehalten hätte: Es geht um »Startchancen« nicht um Chancengleichheit, es geht um »möglichst gerecht« nicht einfach um Gerechtigkeit.

Spätestens bei den »differenzierten« Bildungsangeboten wird ziemlich unverhüllt das Drei-Klassen-Schulsystem gepriesen und ansonsten lebt das Programm von der Ausblendung: In der Zustandsbeschreibung kein Wort von PISA, kein Wort über den extrem verengten Hochschulzugang für Wenigerverdienende, statt dessen ein Lob auf die Familie und erneut die Subsidiarität. Das alles klingt eher vorindustriell: Die Gebildeten bleiben besser unter sich, der Pöbel in der Hauptschule und Mutti kümmert sich um die Kinder. Trotz van der Leyen laboriert die CDU an einem Familien- und Bildungsbild, das seine Herkunft aus dem katholischen Dorf nicht verleugnen kann und mit der notwendigen Modernisierung Deutschlands nichts zu tun hat.

Damit der vormoderne Ansatz des Programms auch wirklich deutlich bleibt, wird der Begriff der Leitkultur aus der Requisite des gescheiterten Dr. Merz hervor geholt und dem staunenden Publikum mit verfassungswidrigem Geschwätz, von einem »besonderen Verhältnis zwischen Staat und Kirche« in Deutschland präsentiert. Erneut wird der brave Moslem, der Atheist oder Agnostiker mit dem »christlichen Verständnis« bedroht, um sich dann unvermittelt in der »globalisierten Welt« wiederzufinden, die, glaubt man dem Programm, ein Ausdruck von Freiheit ist. So ist es, wenn der Horizont von Dorfschultheologen auf die große Welt trifft: Freiheit ist die, Geld zu akkumulieren und wer keins hat, ist eben frei davon.

Nach all der Christus-Beschwörung wird leider nicht die andere Wange hingehalten, wenn es um »Die Auseinandersetzung um den Zugang zu natürlich Ressourcen« geht. Diese Frage wird nicht etwa unter Entwicklungshilfe oder Ökonomie abgehandelt, sondern unter »gefährdeter Sicherheit«. Denn leider lässt der liebe Heiland die Ölquellen unter den Hintern der Andersgläubigen sprudeln und die geben ihre Ressourcen nicht immer freiwillig ab, da müssen wir uns dann den Zugang wohl mit militärischen Auseinandersetzungen verschaffen. Deshalb tauchen, wenn es um die Bundeswehr geht, wunderbare Begriffe wie »asymetrische Kriegsführung« und »transnationaler Terrorismus« auf, dem die CDU mit »Stabilitätstransfer« begegnen will. Gemeint ist nicht der Export stabiler Hinterbänke oder eines ultrastabilen Lobbyismus, gemeint ist der Export der Bundeswehr in andere Länder, der Transfer von Krieg.

Während in der Europa-Politik erneut ein christliches Menschenbild eingefordert wird, soll doch der Franzose mit seiner bürgerlichen Revolution sehen wo er bleibt, sucht man den lieben Herrn Jesus vergeblich, wenn es um die Marktwirtschaft geht. Niemand erinnert, dass der einst die Geldwechsler aus dem Tempel gejagt hat, niemandem fällt die Ähnlichkeit der antiken Wechsler mit dem hochmodernen Finanzkapital auf. Statt dessen ein Stoßgebet aus der Kapelle des unheiligen Wirtschaftsliberalismus: Weniger Staat, mehr Markt, so lautet der Glaubenssatz der Union und mündet in der skurrilen Behauptung, dass die Minimierung des Kündigungschutzes eine Wohltat für die Arbeitslosen wäre.


Feridun Zaimoglu wird sich mit seiner schönen Meinung über Deutschland schwerlich durchsetzen, solange Merkel, Koch und Oettinger am Bild von Deutschland basteln dürfen. Aber ein anderer Satz aus seinem Essay »Der Liebe zu Deutschland nicht schämen« darf als Vorahnung auf das CDU-Programm gelten: » Der Tölpel braucht Erhabenheit, um nicht über die eigenen Füße zu stolpern«. Und wenn er sich erhabene Kränze aus der Bibel flicht, dann heißt er CDU.