Die Malediven gehören nicht zu den G-20. Die Malediven bestehen zu 90 Prozent aus Wasser. Demnächst werden es 100 Prozent sein. Wenn die Malediven jetzt von einer Bank aufgekauft würden und die Anteile, in hübsche Derivate verpackt, auf dem Markt zu haben wären, sollte die Bank viel Eigenkapital haben. Das wollen die G-20. Zum Ende 2012. Vielleicht. Damit das erkennbare Risiko einer ziemlich verwässerten Obligation auch von der Bank getragen wird. Und nicht nur vom Steuerzahler. "Sie können nicht ausgehen von einer einheitlichen Zahl, weil sich die Definition des Eigenkapitals teils von Land zu Land unterscheidet", sagte Ex-Finanzmister Steinbrück am Rand des G-20-Gipfels. Um dann in herrlichem Finanzamtsdeutsch fortzufahren, "dass sich in dem Kommunique, so wie es jetzt entworfen ist, sowohl die Frage der Qualität wie der Quantität der Eigenkapitalregeln wiederfindet". Auf diese Weise könne man sich auf das Ende der Krise vorbereiten.
Während sich Herr Steinbrück auf das Ende der Krise vorbereitet, Gerüchten zufolge schreibt er an einer Agenda 20/12, warnt der Präsident des "Bundesverbandes deutscher Banken" vor zu hohem Tempo bei Reglementierungen. Denn wer wenig Kapital einsetzt, um dicke Geschäfte zu machen, dessen Rendite ist höher, als wenn er viel Kapital einsetzen würde, sagt das Handbuch des Herrn Ackermann. Und 25 Prozent Eigenkapitalrendite soll es schon sein, wo blieben denn sonst die Boni? Vor dem G-20-Treffen in Pittsburgh hatten die Staatenlenker von einer unerbittlichen Beschränkung der Bänker-Boni gesprochen. Denn das war populär. Und vor den Wahlen, den deutschen zum Beispiel, ist Populismus entweder ein Vorwurf (an die Adresse von Lafontaine) oder ein Segen (im Falle Merkel). Nach dem Gipfel, nach den Wahlen, lenken die Staatenlenker lieber ein: Es gibt doch keine Obergrenze für die Bezahlung der Bankmanager. "Ich habe den Eindruck, dass wir auf einem erfolgreichen Weg sind", sagte Frau Merkel in Pittsburgh.
Der erfolgreiche Weg: In Deutschland liegt der Zertifikatemarkt schon wieder bei 90 Milliarden Euro. Seit der Lehman-Insolvenz sind mehr als 500 000 Zertifikate ausgegeben worden. Papiere dieser Art waren der Hauptgrund für den Ausbruch der jüngsten Wirtschaftskrise. Der G-20-Gipfel hat sie nicht verboten. Warum auch? Bis zur Krise hatte man gut daran verdient. Die Verluste übernahmen die Steuerzahler. Das soll auch in Zukunft so sein: Der Gipfel fordert alle Staaten auf, Gesetze zu verabschieden, um große Banken im Notfall zu übernehmen und "geordnet abzuwickeln". Ordnung muss sein in der Insolvenz. Und weil die europäischen Banken höher verschuldet sind als die amerikanischen, haben Deutsche und Franzosen darauf gedrängt keine Obergrenze der Bankverschuldung festzulegen. So hat die Finanzbranche nach dem Gipfel, im Hauch des Sollens und Wollens, ihre Ruhe.
Die deutschen Wähler haben am Wochenende des Gipfels mit zwei Zungen gesprochen. Mit einer weiter gesunkenen Wählerbeteiligung wird die wachsende Unlust deutlich: Nicht wenige hatten ein solches Ergebnis, eine wenig veränderte Regierungsvariante, erwartet. Selbst so manche eingeschworene CDU-Wähler sind zu Hause geblieben. Dass ehemalige SPD-Wähler nicht mehr zur Urne gegangen sind, ist seit langem zu beobachten. Warum sollte auch jemand, der eine soziale Politik erwartet, SPD wählen? Die Zuwächse der marktradikalen FDP kann sich nicht nur aus der beträchtlichen Zahl der Zahnärzte und Rechtsanwälte in der Republik erklären. Solche wie Westerwelle verkörpern jene soziale Kälte, die von den Regierungen Schröder-Fischer eingeleitet und der Regierung Merkel-Steinmeier fortgesetzt wurde. So bleibt die FDP ein schäbiger Gewinner der Krise. Die vergleichbare Stagnation der GRÜNEN darf als Quittung für ihre Beteiligung an Hartz IV und der deutschen Unterstützung des Afghanistankrieges begriffen werden. Das ordentliche Ergebnis der LINKEN gibt Hinweise: Auf Wähler, die Veränderung wollen.
Das Bruttoinlandsprodukt der Malediven beträgt etwa 1,6 Milliarden Dollar. Die Gewinne der Deutschen Bank lagen in 2007 bei 60 Milliarden. Dass der Bevölkerung der Malediven das Wasser bis zum Hals steht, ist bekannt. Dass die neue Koalition aus Ackermann, Merkel und Westerwelle daran nichts ändern werden wird, ist sicher. So wird es auch im Zukunft nicht um die Gipfel gehen, sondern um die Mühen der Ebenen. Wenn der Wähler begreifen sollte, dass er sich zwischen den Wahlen, zwischen den Gipfeln mühen muss, um den Kopf über Wasser zu halten, kann es vom Wählen zum Wenden kommen. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl.