Gerade hat das statistische Bundesamt gemeldet, dass mehr Menschen Deutschland verlassen als zuziehen. Da hebt Seehofer, der große Statistiker aus Bayern, den Finger und fordert einen Zuzugstop für Muslime. Auch die Familienministerin Kristina Schröder, liebe Öffentlichkeit, weiß was: Es gäbe ein "Problem mit Deutschfeindlichkeit" fällt ihr ein. Schon das Deutsch der Ministerin lässt stark an ihrer Herkunft zweifeln. Starke Zweifel an ihrer Intelligenz kommen auf, wenn man ihre Begründung liest: "Deutsche Kinder und Jugendliche werden dafür angegriffen, weil sie Deutsche sind." Das Sarrazin-Trittbrett verlockt zum Surfen.
Natürlich gibt es solche Pöbeleien wie Schröder sie benennt. Aber wenn zeitgleich in Limburg ein Prozess gegen vier deutsche Rechtsextreme wegen versuchten Mordes beginnt, wenn in Aachen zwei andere Rechtsdeutsche wegen der Vorbereitung eines Sprengstoffanschlages in Haft sind, wenn die Staatsanwaltschaft Lörrach gerade Anklage wegen wegen "Vorbereitung eines Explosionsverbrechen" gegen einen natürlich deutschen Neonazi erhebt, ist es Zeit sich zu erinnern: In den letzten zwanzig Jahren waren es im wesentlichen Deutsche, die Anschläge auf Ausländer verübten. Nicht umgekehrt, wie zur Zeit versucht wird zu unterstellen. Das eine entschuldigt das andere nicht. Aber der Blick in die reale Statistik ethnisch motivierter Gewaltkriminalität lässt Frau Schröder deutlich älter aussehen als sie ist.
Ein typisches Beispiel für die Ja-Aber-Strategie in der Sarrazin-Falle ist der Historiker Hans-Ulrich Wehler. In einem Artikel der "Zeit" gesteht er zwar ein, dass Sarrazins Buch sowohl falsche Zahlen, wie auch unbegründete Mutmaßungen und eine "sozialdarwinistische Bevölkerungspolitik" enthält. Ja. Aber, fragt der Hochschullehrer weiter, "warum wird das Kapitel über die demographische Entwicklung . . . nicht endlich auf die Diskussionsagenda gesetzt?" Diese Frage ist, nimmt man den Wehler ernst, betrügerische Rethorik. Nähme man ihn nicht ernst, wäre es einfacher Unsinn. Denn seit Jahr und Tag steht die demographische Entwicklung, nach der die Deutschen langsam aussterben, auf der Tagesordnung der deutschen Renten-Populisten. Die Riesters, Maschmeyers und andere haben daraus ein prima Geschäft gemacht, die rotgrüne Regierung (die schwarzgelbe folgt ihr darin brav) sogar ein neues Renteneintrittsalter.
Die Seehofers und Wehlers, vielleicht sogar Frau Schröder, wissen also sehr gut, dass seit Anfang der siebziger Jahre in Deutschland mehr Menschen sterben, als Babys geboren werden. Dass Einwanderung die einzige Möglichkeit ist, diesen Trend kurz- und mittelfristig umzukehren. Ganz unaufgeregt und unideologisch hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit jüngst darauf hingewiesen, dass unser Land mangels selbstproduzierten Nachwuchses wohl gar keine "richtige" Auswahl treffen kann. Deutschland ist auf kontinuierliche Zuwanderung angewiesen. Es droht dem Land ein massiver Facharbeitermangel - und dem kann man nicht erfolgreich begegnen, indem man ganze Kulturkreise von vornherein ausschließt.
Was mag die neuen Türkenkrieger reiten? Bei Sarrazin, der in seiner langen Karriere im öffentliche Dienst wesentlich durch Pöbeleien bekannt wurde, wird es ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom sein, das ist bei den Talk-Shows in guten Händen. Solche wie Seehofer und Schröder hoffen darauf am rechten Rand zu schöpfen, um jene Wähler zu halten oder zu gewinnen, die sich von Ausländern bedroht fühlen, in Wahrheit aber von Inländern bedroht sind, die eine falsche Sozial-, Wirtschafts- und Integrationspolitik verantworten. Bei Wehler ist zu befürchten, dass der Historiker, ohne viel von sozialen Fragen zu wissen, einfach mal im falschen Fachgebiet mitreden möchte. Doch weder Populismus noch Eitelkeit tragen zur Lösung der Probleme bei. Im Gegenteil.