Falls Ihnen im Verlaufe des Tages oder der Nacht irgendjemand ein neues Jahr andrehen will: Türe zuknallen, selbst wenn der Fuß des Hausierers noch dazwischen sein sollte. Betrügerische Jahreshändler kriechen zu dieser Zeit durch die Kabel, versuchen sich in den Wohnungen festzusetzen und rufen ihre Ware aus: Neues Jahr, Neues Jahr, viel schöner als das alte je war, schreien sie und ein Lügenschaum tropft die Bildschirme hinunter, verkleistert die Zeitungsseiten und riecht übel aus dem Radio. Wenn der Mensch eins weiß, dann, dass das kommende Jahr schlechter wird als das vergangene.

Häufig wird der Neujahrsverkauf mit Hellseherei und Prophetie verkauft. Die Merkel zum Beispiel weiß gewiss, dass der Terror der Hamas die Schuld am israelischen Bombardement auf die Menschen im Gazastreifen trägt. So wie man weiß, dass die Palästinenser altes israelisches Land frech besetzt haben, als die eigentlichen Inhaber für fast 2.000 Jahre mal weg waren. Schon in Heiligendamm wußte Merkel genau, wie die Klimakatastrophe zu beheben war, um dann nur wenig später das Klima zu begraben. Merkel wußte auch viel über den Markt, den großen Heil- und Segensbringer. Jetzt weiß sie: "Die Welt hat über ihre Verhältnisse gelebt." Das sieht Sybille W. auch so. Jüngst hatte sie drei Tomaten mehr gekauft, schon hat sie über ihre Hartz IV-Verhältnisse gelebt.

Während Merkel noch mit der Hamas beschäftigt ist, hat der Papst eine neue Katastrophe entdeckt: Die Schwulen. Sie stören die "Ökologie des Menschen", sie schaden also den Beziehungen der Lebewesen. So verwirrend soll das neue Jahr beginnen: Gehen wir jetzt zuerst gegen die Klimakatastrophe vor oder die Hamas oder die Schwulen? Vermeintlich klarer ist der Finanzminister. Er klärt auf: "Was viele nicht wissen". Das Finanzministerium gibt auch Wohlfahrtsmarken heraus: "Gutes tun. Mit Briefmarken helfen." Zwanzig Cent extra für die Sexualökologie auf der Marke "Geburt Christi". Oder fünfundzwanzig Cent auf der Marke "Anbetung der Könige", wahrscheinlich zur Sanierung der Börsen.

Der designierte Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie hat, so sagt er, keine Scheu: "das Wort Anstand in den Mund zu nehmen". Bis zum Mund mag es ja gehen, im Schlund müsste es ihm stecken bleiben. Denn der Mann ist sicher, dass die deutsche Wirtschaft viel besser ist, "als es wohlfeile Schlagzeilen über Banker und Manager Glauben machen." Das hat er im Kurs "Mit Anstand lügen" gelernt. Dort halten sie den Anstand so lange im Mund bis er tot ist. Diese Sorte Ehrlichkeit betreibt auch der Verteidigungsminister, wenn er den Soldaten im Ausland höhnisch hinterher ruft: "Mögen sie gesund und glücklich in die Heimat und zu ihren Familien zurückkehren."

So glücklich sieht die Soldatin auf der Homepage der deutschen Botschaft in Afghanistan aus, die auf einem Foto im Kreis Afghanischer Kinder so penetrant grinst, dass man wünscht, der Papst hätte ein Wort gegen Kindesmissbrauch gesagt. Etwas weiter unten ist die Botschaft dann so anständig, den Deutschen in Afghanistan anzubieten, in die "Krisenvorsorgeliste" aufgenommen zu werden. Denkt man zuerst, es gibt Krisen-Geld, wie bei den Banken, sagt der zweite Blick: Es geht um die Evakuierung. Falls alle Deutschen mal ganz schnell raus müssen aus Afghanistan. Sogar ohne Bundestagsmandat.

Um die Neujahrs-Lüge par exellence streitet sich die Bundeskanzlerin: "Das ist die Chance, die in dieser Krise steckt" mit Köhler, dem Präsidenten: "Ich sehe in der Krise auch eine Chance", erzählt der und klappert mit den Augenlidern. In jedem Tod steckt natürlich auch eine Chance. Zum Beispiel wird die Erde für neue Ernten gedüngt. In jedem Kriegsanfang ist die Chance auf ein Kriegsende verborgen. Am Ende der Pest, sagt man, wartet die Genesung. Von dieser Art sind die Jahresweisheiten der Obrigkeit. Bewahren Sie Ihr altes Jahr gut auf. Sie werden es noch dringend brauchen.