Was würden Sie machen, wenn Sie in der Minute 45 000 Dollar verdienen würden? Wahrscheinlich erst mal erschrecken, sich dann kneifen und schnell über die Schulter gucken: Wenn es kein Traum ist, kann es nicht mit rechten Dingen zugehen. Carlos Slim, ein in Mexiko lebender Geldscheffler, verdient so viel im Minutentakt. Er ist der reichste Mann der Erde und natürlich hat er schon in seiner Schulzeit Centavo für Centavo beiseite gelegt, und wenn er das noch heute tun würde, dann wäre er inzwischen verhungert. Aber ganz zufällig stand Carlos Slim damals in der Nähe, als die mexikanische Regierung ihre Telefongesellschaft privatisierte, ganz zufällig war der damalige mexikanische Präsident ein alter Kumpel von Slim und geradezu versehentlich wechselte die Gesellschaft den Besitzer für einen freien Preis unter Marktwert. (Bitte das Wort frei notieren)

Die freie Marktwirtschaft hat die Zahl der Besitzer eines Finanzvermögens von mehr als einer Million Dollar in 2006 um 8,3 Prozent gesteigert. Wir reden nicht über die Leute, die eine nette Eigentumswohnung in der Innenstadt haben und noch ein Wochenendhaus auf dem Land und wenn man deren Schmuck, die Bilder und das Geld auf der Bank hinzu zählt auch auf eine runde Million kommen. Wir reden also nicht über Vermögensmillionäre, wir reden über Einkommensmillionäre. Davon gibt es in Deutschland fast 800 000. Und sie sind auf deutschen Strassen selten zu erkennen. Denn die Quandts (BMW und anderes), die Aldi-Brüder (wie der Name schon sagt) oder der Merckle-Clan (Generika und was sonst gerade so kommt), fahren ihre Rolls Royces lieber im Ausland und parken ihre Yachten im Hafen von Cannes und nicht im Wannsee, wo jeder so frei wäre sie sehen zu können (Bitte das Wort frei notieren).

In den Akten der napoleonischen Besatzungsmacht des Rheinlandes taucht, so zwischen 1770 und 1800, der Name Mathias Weber auf. Weber, wegen seines brutalen Kampfstiles auch der »Fetzer« genannt, überfiel mit seiner Bande alles, was ihm lukrativ erschien. Er machte nicht einmal vor dem Neusser Rathaus halt. Am Rande der Akten kann man den Namen »Paffrath« lesen. Der Düsseldorfer Händler Paffrath galt als die Hehlerpersönlichkeit im rheinischen Raum. Dass es bis heute eine begüterte Familie Paffrath in Düsseldorf gibt, die einen sehr vornehmen Kunsthandel betreibt, kann nur Zufall sein. Mathias Weber wurde gefangen genommen und gerichtet, der Hehler Paffrath blieb frei (Welches Wort sollten Sie notieren?).

Wenn die schwer Reichen einmal im eigenen Land aus Ihrer Schattenexistenz heraustreten, dann fast immer im Zusammenhang mit der Politik. Gerne nimmt man einen hohen Orden entgegen oder trifft sich noch lieber im Berliner Restaurant "Borchardts" mit dem zuständigen Fachminister: Dem für weniger Steuern, dem für weniger Umweltauflagen oder dem für mehr Rüstungsaufträge. Ganz selten kommen sich Hochfinfanz und Hochpolitik privat näher, noch seltener wird das bekannt. Aber auf dem frühbarocken Herrensitz der Generika-Merckles in Hohen Luckow war, während des ummauerten G-8-Gipfels, die komplette Weltführungsschicht zu Besuch. Man tagte dort nicht, man hatte frei (?!).

Gern wird von den Medien der Reichen - und welches auflagenstarke Blatt, welcher quotenbringender Privatsender gehört ihnen nicht - behauptet, die Nörgelei an den Reichen sei nichts anderes als Neid. Wer die Inbrunst betrachtet, mit der das Prekariat und die ihm verwandten Schichten, den Glamour der Reichen aufschleckt, wie es sich in der Hoffnung wiegt, auch einmal Millionär zu werden und sei es nur durch einen Besuch bei Günther Jauch, der weiß, dass diese Behauptung nicht stimmt. Die Mehrheit der Deutschen liebt die Reichen. Blöde findet sie nur, dass sie selbst eher arm sind. Einen Zusammenhang vermuten die wenigsten. Schließlich sind wir ein freies (?!) Land, hier kann jeder werden was er will.

Wer die Zahl der Millionäre gegen die Zahl der Wahlberechtigten hält, der wird feststellen, dass die Millionäre kaum ein Sechzigstel der Stimmen auf sich vereinen, das würde nicht mal ausreichen, der FDP über die Fünf-Prozent-Hürde zu helfen. Anders als bei den Glamour-Faktoren werden die Normalbürger allerdings neidisch, wenn sie von der jüngst verkündete Unternehmenssteuerreform erfahren: Da sinkt doch der Steuersatz für Unternehmen um glatte zehn Prozent. Und wenn sie sich die wirtschaftliche Landschaft ansehen, in der alles boomt, in der Deutschland Exportweltmeister ist und die Zahl der Millionäre sprunghaft steigt, dann fragen sie sich, warum das nötig ist. Drauf weiß der Finanzminister, der auch gerne im "Borchardts" sitzt und dort seinen Tafelspitz lutscht, mehrere Antworten. Eine nennt besonders besonders freimütig (?!): Er erwartet im Ergebnis der Steuersenkung fünf Milliarden Euro Einnahmeverluste!

Dass, während die Zahl der Reichen steigt und steigt, die Zahl der Armen noch höhere Steigerungsraten aufweist, ist ein Ergebnis von freier Marktwirtschaft. In den USA ist diese Freiheit mit dem Satz »the land of the free« sogar in der Hymne verankert. Freiheit und Reichtum scheinen einander zu bedingen. Und Armut auch? Die Britische Regierung hat, im Schatten der polnischen Forderungen, beim letzten EU-Gipfel darauf bestanden, dass für sie die Grundrechte der EU Verfassung nicht gelten dürfen. Und sie weiß warum. Irgendein beliebiger Engländer könnte auf die Idee kommen, die sozialen Rechte der EU-Verfassung einzuklagen. Das wäre für die wirtschaftliche Elite der Briten, die man mit 0,1 Prozent der Bevölkerung beziffert und deren Einkommen sich um rund 600 Prozent gesteigert hat, einfach lästig. Nicht nur weil das Einkommen der ärmsten Briten unter die Hartz IV-Grenze gesunken ist, auch weil die britische Putzfrau einen höheren Steuersatz zahlt als ein Private-Equity-Manager.

Manche macht der Markt frei von aller Verantwortung. Andere macht er frei von Arbeit. Wenn, wie die der Text der deutsche Nationalhymne besagt, Recht und Freiheit des Glückes Unterpfand sind, dann meint er nicht, dass einige das Recht haben ihr Glück mit der Freiheit der anderen zu machen. Oder doch?