Es war rührend: Tränen in den Augen zeigten die veröffentlichten Bilder zum Austritt der Briten aus der EU. Und die deutschen Wichtig-Medien weinten heftig mit: "In Tränen vereint" wusste die Süddeutsche Zeitung zu schreiben, und auch der FOCUS sah einen "Abschied mit Tränen". Mag auch bei diesem oder jenem EU-Abgeordneten die romantische Selbsttäuschung zu echten Tränen geführt haben, so weiß man doch: Krokodile weinen beim Verzehren ihrer Opfer tatsächlich. Weil die Tiere beim Fressen heftig zischen und schnaufen, wird Luft so stark durch die Nasenhöhlen gepresst, dass sie die Tränendrüsen zum Entleeren bringen. Und wer den Banken-Komplex der City of London, das Zentrum neoliberaler Grausamkeit und der Profit-Fresssucht kennt, der weiß, wo die Krokodile lauern.

Was ist das für ein Land, das die EU verlässt? Es ist das Land, in dem seit Jahr und Tag ein Journalist einsitzt, ein Mann, der im Gefängnis gefoltert wird und für den weder die Brexiteers noch die Remainers einen Finger gekrümmt haben. Ein Land, das im Interesse der USA, die unbedingt den Journalisten Julian Assange mundtot machen will und alle erdenklichen Rechte mit Füssen tritt: Die Pressefreiheit, das Recht auf freie Meinung, das absolute Folterverbot. Großbritannien unterstützte die Osterweiterung, die die EU politisch uneiniger denn je gemacht hat und die paranoide Russophobie Polens und der baltischen Staaten, die andere europäische Länder in einen gefährlichen Konflikt mit Russland drängt, der ihren eigenen Interessen zuwiderläuft. Großbritannien war ein US-Pfahl im Fleisch der Westeuropäer.

Die Kampagne zum Verbleib der Briten in der EU zeigte nachdrücklich, von welch imperialem Geist die sogenannte "Einheit der Europäer" besessen ist: Immer war von EUROPA die Rede, wenn von der EU hätte gesprochen werden müssen. Denn natürlich ist der europäische Kontinent immer noch viel größer als die Europäische Union, die gierig ihre Zähne in jedes weitere Land schlug, dass ihren Markt vergrösserte, ihre Ungleichheit und ihre asoziale Steuerpolitik. Ein Monster, dass keine demokratische Verfassung kennt, nur eine unersättliche Bürokratie. Zweimal sollte über einen Entwurf einer EU-Verfassung abgestimmt werden: In den Niederlanden und in Frankreich. Als die Verfassung in beiden Ländern scheiterte, brütete der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, den "Vertrag von Lissabon" aus, der an den Völkern vorbei vom EU-Parlament abgenickt werden musste. Ein Vertrag, der die Regelungen zu EU-Militäreinsätzen aus dem Nizza-Vertrag erweitert und damit das Wirtschaftsbündnis zum Verteidigungsbündnis weiterentwickelt.

Nahezu alle Mitglieder der EU sind zugleich auch Mitglieder der NATO: Das Krokodil hat Zähne. Spätestens beim Versuch die EU um die Ukraine zu erweitern, hätten auch Schwachsinnige merken müssen, wes Geistes Kind die Europäische Union ist: Ein Kind des US-Imperialismus, der rund um die Ukraine beinahe einen Krieg des Westens gegen Russland losgetreten hätte. Nur besonders Sinnige, wie Katja Kipping, Vorsitzende der Partei DIE LINKE, mochten im Brexit-Moment diesen Satz ablassen: "Dass Großbritannien die Europäische Union verlässt, ist ein schwarzer Tag für die europäische Idee". Die „europäische Idee"? Das EU-Gebilde, von einer transnationalen kapitalistischen Bürokratie kommandiert, ist so europäisch wie ein Hamburger vegetarisch ist.

Es wäre an der Zeit, die Gesellschaft der Krokodile zu verlassen, die gescheiterte Europäische Union aufzugeben und eine Kooperation souveräner Demokratien anzustreben, die sich von der Umklammerung der USA und ihrer NATO befreien. Eine Gemeinschaft, in der die Völker das Sagen haben und nicht Sprechautomaten wie Ursula von der Leyen. Eine Gemeinschaft, die in Frieden mit Russland leben will und den sozialen Frieden durch den Abbau des wirtschaftlichen Gefälles zwischen den Staaten zum Programm erhebt. Eine Gemeinschaft, deren Verfassung durch Volksabstimmungen demokratisch legitimiert wird und in der das Recht auf den politischen Streik verankert ist. Um den Krokodilen Grund zum Heulen zu geben.