Die Zeitung für unterm Arm, nicht für vorm Kopf: So kennt man die Wochenzeitung "Die Zeit". Unentbehrlich für den Caféhausgänger, den Vernissagenbesucher und die Opernpause. Nur echt mit dem feuchten Fleck auf der Falz. Dieses unentbehrliche Accessoire der Beeindruckungskultur, schon lange nicht mehr im Gerede, fand in diesen Tagen mit einer Fälschung durch "Attac" eine fröhliche Wiederauferstehung: In einer Voraussicht auf eine "Zeit"-Ausgabe des Jahres 2010 wurde dort "Opel in Belegschaftshand" ebenso verkündet wie "Das Ende des Afghanistan-Krieges" oder der "Abschied von Atom und Kohle". Der Chefredakteur der "Zeit" fand die Wahl der "Attac"-Leute richtig: "Schließlich gibt es keine größere Qualitätszeitung." Das will besichtigt werden.
Schon auf der ersten Seite der echten "Zeit"-Ausgabe dieser Woche prangt die Überschrift "Die Waffen nieder". Hatte man für einen Moment gedacht es könne sich um einen pazifistischen Appell handeln, vielleicht in Bezug auf den Afghanistan-Krieg oder die denkbare Auflösung der NATO, wird man schnell enttäuscht: Es ist nichts als der Anreißer eines vierseitigen "Dossiers" im Inneren der Zeitung, das noch mal und noch mal wiedergekäute Thema des Amoklaufes, das unappetitliche Riechen am T-Shirt des Jungen aus Winnenden, die Reproduktion der Reproduktion einer scheinbaren Aufklärungsdebatte im Bildzeitungsformat.
Das Prinzip "Enthüllen ohne Enthüllung" wird mit einer ganzen Seite über den Wirtschaftsminister fortgesetzt: "Verführt ein Mann die Medien? Oder lässt er sich verführen", fragt die Autorin eines Artikels über zu Guttenberg in New York und hat eine klare Antwort: "Die dabei waren, sind sich einig: Schnell, entscheidungsstark und hart in der Argumentation sei der Mann". Während wirkliche Qualitätszeitungen durchaus in der Lage waren, die heiße Luft zu schmecken, die zu Guttenberg in den USA produziert hat, bleibt die "Zeit" im Epigonalen stecken: Man wisse jetzt warum ihn seine Beamten loben, weiß die Journalistin devot zu berichten.
So richtig regierungsfromm wird die vorgebliche Qualitätszeitung in der Rückerinnerung an den Kosovo-Krieg. Genüsslich vermeldet sie, dass es eine rot-grüne Regierung war, die mit den pazifistischen Traditionen der Bonner Republik brach und zitiert zustimmend den damaligen FDP-Vorsitzenden: "Man kann uns vorwerfen, dass wir uns nicht auf der rechtlich sicheren Seite finden. Aber ich bin überzeugt, dass wir uns auf der menschlich sicheren Seite befinden." Auf dieser völkerrechtlich unbekannten Seite befindet sich auch die "Zeit".
Zehn Jahre nach dem Krieg wäre es möglich gewesen, die Zahl der Opfer durch NATO-Bomben ins Verhältnis zum Erreichten zu setzen. Auch ein Nachdenken über den Bruch des Völkerrechts und die Entwertung der UNO durch den Krieg der NATO gegen Jugoslawien hätte man nicht ausschließen müssen. Selbst eine Besichtigung des Kosovo heute und des weltgrößten US-Militärstützpunktes (Bondsteel) im amerikanischen Protektorat Kosovo wäre ein paar Zeilen wert gewesen. Doch so viel journalistische Qualität mag sich die "Zeit" dann lieber nicht leisten.
Statt mit ordentlicher Recherche oder sauberer Analyse beschenkt die "Zeit" ihre Leser mit einer DVD zum Thema "60 Jahre Deutschland". Der auf dem Cover abgebildete Chefredakteur in Denkerpose - das Kinn schwer in die Hand gestützt, keinen Gedanken, wohl eher Falten am Hals verbergend - verheißt wenig Gutes. Und so kommt es dann auch: Journalisten der "Zeit" haben eine Meinung zur Geschichte.
Theo Sommer, ein ehemaliger Chefredakteur, erinnert sich an die Währungsreform und daran, dass damals "jeder den selben Betrag in der Tasche" hatte. Wie üblich mag die "Zeit" auch retrospektiv davon absehen, dass es Grundbesitz und Besitz an Betrieben gab, der ziemlich deutlich die 40 Mark pro Kopf der Bürger überschritt. Das korrespondiert wunderbar mit der Seite eins der aktuellen Ausgabe der echten "Zeit", auf der ein Redakteur zu der tiefen Erkenntnis kommt, das die jetzige Krise "von Menschen" gemacht sei. Nur keine Namen nennen, damals wie heute.
Auch das bundesrepublikanische Schlüsseljahr 1968 findet eine Erwähnung auf der Jubiläums DVD: "Die ZEIT wird zum Leitmedium der Studenten". Hätten die Autoren mal ins "Zeit"-Archiv geschaut, dann hätten sie dort lesen können, dass die damalige "Zeit" zum Beispiel einen linken persischen Wissenschaftler als "Protest-Perser" diffamierte oder sich angesichts der nachlassenden Kriegsbereitschaft der US-Bevölkerung mokierte: "Daß ein Volk aus Langeweile die Lust am Krieg verlieren kann: Das ist eine Wirkung, die sowohl der besondere Charakter des Vietnamkonflikts als auch die spezielle Beschaffenheit des amerikanischen Fernsehens herbeiführen." Nur die Bildzeitung lag den 68er Studenten noch ferner als "Die Zeit".
So klingt dann die "Zeit"-DVD mit einer orgiastischen Angela-Merkel-Begeisterung aus. Sie führe "das Land mit ruhiger Hand", wird lobgepreist und beruhigend weiß ein Kommentar zur Krise zu sagen, dass "der Wissenschaftlerin wilder Aktionsmus fremd ist." Womöglich hatte die Kanzlerin auch mit einem Akt der Befreiung zu tun, denn durch die Fußballweltmeisterschaft wurde "ein lange unterdrücktes Nationalgefühl" wieder frei gelassen, schwärmt ein anderer Kommentar auf der DVD.
So sind wir, was die Wahrheitsfindung anbelangt, auf die wunderbare Fälschung der "Zeit" durch "Attac" angewiesen. Dort kann man sich erinnern, dass der langjährige "Zeit"-Chefredaktur Theo Sommer regelmäßig an den "Bilderberg-Konferenzen" teilnahm, jenen Zusammenkünften mit den Herren Ackermann, Wolfowitz und Kissinger, bei denen die Welt geordnet wurde. Im Sinne des globalen Marktes, versteht sich. Wer also an einer wirklich neuen Zeit interessiert ist, der trifft sich am 28. März in Berlin und Frankfurt zu kräftigen Aktionen gegen die Krise. Organisiert von "Attac" und einem breiten Bündnis. Erkennungszeichen: Keine "Zeit" unter dem Arm. Außer sie wäre gefälscht.
Einzelheiten unter: www.28maerz.de