"Amerika, du hast es besser
als unser Kontinent, der alte,
hast keine verfallenen Schlösser
und keine Basalte.
Dich stört nicht im Innern
zu lebendiger Zeit
unnützes Erinnern
und vergeblicher Streit."
Johann Wolfgang von Goethe
Was erinnern die US-Amerikaner? Darf man den immer wiederkehrenden Bildungsumfragen in den USA glauben, dann ist es nicht viel. Und das wenige, das im Erinnerungsvorrat der Amerikaner zu sichten ist, bezieht sich auf sie selbst. Darin unterscheiden sie sich nicht wesentlich, von anderen Nationen: Das eigene Wohlergehen ist die Maxime politischer Haltung und selbst das will erkannt, begriffen werden. Immerhin reichte das Begreifen in den USA soweit, sich von jener republikanischen Partei zu verabschieden, die, vom Irak-Krieg bis zur Verursachung einer veritablen Weltwirtschaftskrise, im Innern asozial und nach außen aggressiv agierte.
Die heutige Bildzeitung hat dem neuen US-Präsidenten eine feine Wunschliste vorgelegt, so wie Kinder dem mächtigen Weihnachtsmann ihre Bitten mitteilen. In der langen Wahlnacht waren ZDF und ARD nur auf einer Seite: Der Obamas. Die Mehrheit der Atlantiker in deutschen Medien will den Popel Busch unbedingt vom Hemde haben. Und während die Süddeutsche Zeitung online textet: "Amerika - auferstanden aus Ruinen", fällt dem elektronischen "Spiegel" ein, dass der amerikanische Traum wiederauferstanden sei. Die ersten Ergebenheitsadressen der deutschen Regierung flattern schon auf Obamas Tisch, der Mann hat zu tun.
Wenn es Amerika besser haben soll, kann sich an den Grundlagen amerikanischer Politik, die am besten in McCains Wahlslogan, "Country First" zusammengefasst sind, nichts Wesentliches ändern: Immer noch wird das Land von seiner unstillbaren Sucht nach Rohstoffen diktiert, immer noch finanziert es seine überzogenen Standards - ob in der Zahl der Millionäre oder in der Kriegsmaschine - mit Schulden. Dass diese Schulden, durch die Bindung des Weltwährungs-Systems an den chronisch falsch bewerteten Dollar, auch unsere Schulden sind, ist in diesen Tagen an der Krise beweisbar.
Barack Obama hat in Europa den Kennedy-Efffekt ausgelöst: So schön, so jung, so eloquent, so einen hätten wir auch gern, seufzt der politische Massengeschmack bis hinein in die angeblich von Gebildeten gemachten Medien. Besser sollte man ihn den Märchen-Effekt nennen, den tiefen Wunsch nach einem gütigen König, dem wir beruhigt folgen können, das spart eigene Arbeit, eigenes Denken. Er hat uns zu Kennedys Zeiten weder einen dreckigen Krieg in Vietnam erspart, noch den widerlichen Versuch, das kleine Cuba wieder zum Hurenhaus der USA zu machen.
Schon bei seiner Berliner Rede, wie auch bei anderen Gelegenheiten, hat Obama durchblicken lassen, dass er mehr europäische Hilfe im afghanischen Krieg wünscht, selbst wenn der auf das Territorium Pakistans ausgedehnt werden sollte. Dieser Wunsch verkennt die Lage in Afghanistan ähnlich konsequent, wie George Bush sie im Irak verkannt hat. Es wäre schön wenn man ihn für Wahlkampfberuhigungsgeschwätz halten könnte. Doch schon die Auswahl des Vizepräsidenten, Jo Biden, der als "pragmatischer" Außenpolitiker gilt, zeigt wo die Reise hingeht: Ins Country-First-Reich.
Während sich bei uns die nationalen Interessen mal im Gewinn der Fussball-WM, mal in der internationalen Hosenanzugspräsentation der Merkel oder in der Beschwörung des deutschen Autos und seiner Industrie erschöpfen, beschränkt sich der nach Goethe "vergebliche Streit" der USA darauf, welche Fraktion der Oberschicht das Sagen hat. Alles andere wird den genuinen Interessen der USA untergeordnet, wie nur die Oberschicht sie begreifen kann. Ein sehr effizientes System des Machterhalts, auch wenn die Verluste an Sympathie und Menschenleben ziemlich hoch sind.
Die Prüfung für die Wahrung unserer wohlverstanden nationalen Interessen läge in einem Ausstieg aus dem afghanischen Krieg. Mit diesem ersten Schritt in die relative Selbstständigkeit Deutschlands würde auch deutlich, wo der neue Präsident der USA wirklich steht. Aber für diesen antikolonialen Akt müsste die jetzige deutsche Regierung daran denken, dass ihr Amtseid irgendetwas mit dem Wohl des deutschen Volkes zu tun hatte. Das wäre ein nützliches Erinnern. Und es könnte sogar den USA helfen, es besser zu machen.