Nichts geht mehr, sagt der Croupier im Spiel-Casino, wenn er die Kugel ins Rollen bringt. Alles geht immer, scheint der Wahlspruch der Börsianer zu sein. Einen "kleinen Sprung" machte der Dax (Deutsche Aktienindex) in diesen Tagen und das Herz der Börsianer hüpfte mit. Ein Sprung über die 3000er Marke. Dass Anfang Januar noch die 5000er Marke gekratzt wurde, dass es in Vorzeiten noch bessere Werte gab: Egal. Hauptsache Optimismus, Hauptsache Kursgewinne, sagen der melierte Herr oder die sorgsam ondulierte Dame, wenn sie pünktlich vor der Tagesschau treuherzig aus dem Kasten gucken und Sätze ablassen wie: "Nach der Rally gestern ist der deutsche Aktienmarkt zum Tagesgeschäft zurück gekehrt".
Das hört sich total seriös an, die Rückkehr zum Tagesgeschäft. Als habe der Bauer den Pflug wieder in die Furche gesenkt oder der Tankwart die Tanke in den Stutzen getunkt. Zeitgleich kann man erfahren, dass die Hypo Real Estate, das schwarze Loch unter den Banken, weitere zehn Milliarden vom Steuerzahler benötigt, damit sie nicht pleite geht. Und weil, glaubt man dem Finanzminister, wir alle pleite gehen, wenn die Hypo pleite geht, werden "wir" gerne noch ein paar Milliarden spendieren. Es ist immer wieder entzückend den Finanzminister im Pluralis Majestatis reden zu hören: Man hat das schöne, aber falsche Gefühl beteiligt zu sein. Wohl deshalb, wegen des Gefühls, gibt es in öffentlich-rechtlichen Radios und im Fernsehen die Börsennachrichten.
Aus der Einschalt-Quote, mit der alle Intendanten alles erklären, ist die kostenlose Börsen-Werbung zu besten Sendezeiten nicht zu erklären: Die Zahl der Aktien-Besitzer liegt bei etwa sechs Prozent, eine solch kleine Zielgruppe langt den Sendergewaltigen normalerweise nur für Ausstrahlungszeiten deutlich nach 23.00 Uhr. Vielleicht liegt die günstigste aller Sendezeiten im Wunsch nach Sprachpflege begründet: "Die Schweizer Bank UBS hat ihren Jahresverlust nach oben revidiert", sagt einer der Finanzpropagandisten mit treuherzigem Augenaufschlag und hätte doch sagen sollen: Dass die Schweizer UBS, eine der Welt-Schlüselbanken, mit rund zwanzig Milliarden Jahresverlusten ein saumäßiges Ergebnis hatte und alles schlimmer ist als befürchtet.
Doch wer das Wort "Gewinnwarnung" nicht fürchtet, eine Vokabel, die keineswegs gefährlich dicke Gewinne verheißt, sondern fette Verluste, der scheut sich auch nicht vor Sätzen wie "Zum Handelsauftakt verliert der deutsche Leitindex 0,7 Prozent auf 3.860 Punkte", obwohl jeder weiß, dass man jede Menge Promille braucht, um dieses Gequatsche zu ertragen. Oder, um es im Börsianer-Deutsch zu sagen: Den starken Hirnverlust nach oben zu revidieren. Natürlich sind die Börsennachrichten keinesfalls eine Erfindung des Öffentlich-Rechtlichen. Ende der 80er Jahre kamen sechs Banken, der Springer-Verlag und andere Profiteure auf die schöne Idee, im Privatfernsehen, auf Sat 1, die "Telebörse" zu eröffnen und gingen damit wenige Jahre später Pleite.
Nur weil es einen Kreis von Sponsoren gab, die dreissig wichtigsten börsennotierten Unternehmen Deutschlands, konnte die "Telebörse" auf dem Sparten-Sender "ntv" überleben. Doch seit Mai 2003 übernahm die ARD den Job "Die Deutschen durch Börsennachrichten für die Anlage in Aktien zu begeistern." So hatte die Sendeanstalt zwar die Begeisterung für die Geldverbrennung in der DotCom-Blase verpasst, jenem Börsenschwindel, bei dem die Höhe der Schulden der jeweiligen IT-Firmen ihren Kurswert nach oben trieben, konnte aber immerhin noch am Telecom-Verlustspiel teilnehmen, für dessen Schönreden sich bisher weder der beteiligte Finanzminister noch der verantwortliche Intendant entschuldigt haben.
Längst ist die Börsen-Rally in ein Niemandsland gerast, deren Routenplaner von Glücksspielern programmiert sind, deren Kompass von Trickbetrügern magnetisiert wurde und deren Ziel im Maximalprofit für ein paar Superreiche besteht. Doch Tag für Tag halten Nachrichtensprecher weiterhin Sätze bereit wie "Die Vorgaben aus Asien waren heute ebenfalls hervorragend", während in einem Halbsatz weiter zugegeben werden muss, "dass der chinesische Export im Februar um ein Viertel eingebrochen war." So, wie der Steuerzahler die Verluste der Banken und anderer Spekulations-Spiele gefälligst zu tragen hat, so trägt der Gebührenzahler die Werbekosten für die Börse. Das ist die wahre Enteignung der Normalos zugunsten einer Handvoll Besitzer.
Vielleicht sollten die Börsennachrichten besser an das Ende der Nachrichten rücken und nur noch parallel zur Ziehung der Lotto-Zahlen ausgestrahlt werden. Auch eine Einleitung mit dem Wort BINGO würde dem Charakter dieser vorgeblichen Nachrichten eher entsprechen und so für ein Mindestmaß an journalistischer Redlichkeit sorgen.