Das hältst Du nicht durch, hatten Freuden gewarnt. Dieser und jener riet mir, den Versuch nur unter Aufsicht eines Arztes durchzuführen und meine Frau erwog die Scheidung. Nach den ersten 12 Stunden brauchte ich eine Pause und stieg später noch mal ein. Nach insgesamt 24 Stunden RTL-Gucken bin ich überzeugt: Alles wird gut und RTL ist unser Prophet.
An jedem Tag sind es mehr als 10 Millionen Menschen, die sich das Programm von RTL anschauen, der Sender nimmt immerhin den Platz drei hinter den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern ein, und wenn auch nicht alle Zuschauer 24 Stunden lang dranbleiben, sind sie doch häufig vier und mehr Stunden täglich bei Jauch-TV, wie der Sender nach seinem beliebtesten Moderator, Günther Jauch, auch genannt wird.
Es ist Sommerpause, Jauch hat Urlaub und ich steige mit der Seifenoper "Unter uns" ein. Seit 1994 kommt das wirre Stück über die Bewohner der Kölner Schillerallee 10 täglich auf den Schirm, der uns vor der Wirklichkeit beschützt. Fast 3000 Episoden mit einer Unzahl von Figuren, dargestellt von Leuten, die RTL auf der Straße hat einfangen lassen, wurden bisher in die Öffentlichkeit gekotzt. Einen großen Vorteil hat die Sendung, sie ist ehrlich, denn sie sieht genauso billig aus, wie sie produziert worden ist.
Doch nach der Soap das Regionalmagazin, eine echte Nachrichtensendung, die als erstes mit der Überraschung aufwartet, dass Arbeitslose nicht arbeiten wollen. Natürlich wird das nicht mit Zahlen belegt, sondern mit der Meinung eines privaten Arbeitsvermittlers, der so schmierig aussieht, dass er nicht mal als die Ersatzbesetzung eines Versicherungsvertreters durchgehen könnte. Das heiße Thema der Benzinpreise, an dem es möglich wäre solche langweiligen Probleme wie den Nahostkonflikt oder die allgemeine Wirtschaftsentwicklung zu erklären, bringt uns zu einem Radio-Sender in München, der für ein paar Stunden Sprit gratis ausgibt. Damit niemand mit zu viel Informationen belästigt wird, darf dann eine Mutter in der Rubrik "Schwiegertochter gesucht" ihren Sohn anpreisen: Er lebt schon zu lange bei ihr.
Gott sei Dank kommt jetzt Frauke Ludowig, mit "Exklusiv das Starmagazin". Frauke, mit dem Charme einer Bärenfalle ausgestattet, kann schon bis drei zählen, ungefähr so viele Stories darf sie auch präsentieren: Über Dieter Bohlen auf Mallorca, der eine schnelle Vorwerbung für "Deutschland sucht den Superstar" reinschiebt, über eine Party auf dem Hockenheim-Ring mit Promis von denen ich noch nie gehört habe, die sich aber alle wie blöde auf das Formel-1-Rennen freuen, das RTL am nächsten Sonntag übertragen wird, bis zu einem Video-Clip der Gruppe "Tokio-Hotel", die fast so schlecht aussieht wie sie singt.
RTL ist natürlich ein seriöser Sender, deshalb dürfen seriöse Nachrichten unter dem Etikett "aktuell" nicht fehlen. Der Aufmacher kommt aus dem Libanon, aus dem Antonia Rados, die auch schon bei bessern Medien gearbeitet hat, von einem Konvoi berichten darf, der Deutsche aus dem Kriegsgebiet holt. Für so wenig Zusammenhang, für so wenig Hintergrund riskiert die Rados ihr Leben und bringt echte Bilder aus einem echten Krieg nach Hause. Schnell werden die Arbeitslosen, die nicht arbeiten wollen und die wir schon im Regionalmagazin kennen gelernt haben, nachgeschoben und auch der Radio-Sender mit dem umsonstigen Sprit kann noch mal auftreten. Da darf der kleinste Säugling der Welt - "so groß wie ein Mobiltelefon" - nicht fehlen, wahrscheinlich wird der dann für "Deutschland sucht den Superstar" recycelt.
Die Nachrichten folgen jetzt Schlag auf Schlag, in "Explosiv" einem weiteren Hard-core-Magazin begegnen wir wieder Dieter Bohlen mit derselben Botschaft von jüngst und erfahren irgendwas über Kerle im Fummel, die in einer späteren RTL-Sendung auftreten werden. Unversehens gerate ich in "Gute Zeiten Schlechte Zeiten", die älteste Soap der Welt, und entdecke dort mit Caroline, dass ihr Freund ein Call Boy ist. Erschüttert ziehe ich mich zum Weinen ins Bad zurück.
Statt Abendessen gibt es "Die 10 spektakulärsten Reality-Shows": Russische Männer tragen Damen-Unterwäsche, der Ein-Lied-Sänger Jürgen Drews findet das lustig. Um das Niveau weiter zu steigern, darf, in einer anderen Reality-Show, eine britische Transe zehn Männern vorspielen sie sei eine Frau und Claudia Roth von den Grünen, deren IQ sie offensichtlich zu RTL-Kommentatorin befähigt, darf sich dazu äußern: "Das hat das Patriarchat verdient". Na klar, aber um auf dem RTL-Niveau zu bleiben: Kein Patriarchat kann so schlimm sein, dass es Frau Roth verdient hätte. Wir sehen noch die Reality-Show Auto klauender Russen, danach Szenen aus "Big Brother" und sind deshalb völlig erstaunt, dass zum Sieger dieser Top-Ten die RTL-Sendung "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" gekürt wird. Da Heide Simonis bei der nächsten Fortsetzung auf keinen Fall mitspielen will, hoffen jetzt alle auf Angela Merkel.
In der Serie "Fünf gegen Hundert" tritt Frau Merkel nicht auf, dafür aber Sky Dumont, der Richard Gere für Arme und neben ihm der Meister luzider Gedanken, Dirk Bach, nebst weiteren vorgeblichen Prominenten. Die Fünf machen ein Ratespiel gegen hundert Zuschauer und man kann etwas gewinnen. Da man bei RTL immer etwas gewinnen kann, schleicht sich der Verdacht ein, der Sender hält seine Quote nur, weil er mit Kohle ködert. Das muss man energisch zurückweisen, denn Fragen wie "Für wie viele Jahre würden Frauen freiwillig auf Sex verzichten" sind von so hoher gesellschaftlicher Relevanz, dass sich allein daraus hohe Quoten zwingend erklären.
"Upps" heißt die nächste Sendung, tatsächlich kommt es mir ein wenig hoch, sie hätte auch Pups heißen dürfen. Mit "Upps" verglichen nimmt sich "Pleiten, Pech und Pannen" wie die Krönung feinen Humors aus. Bei "Upps" fallen welche beim Tanzen um, andere beim Sport, wieder andere bei anderen Gelegenheiten. Es ist zum Brüllen komisch, finden wenigstens die beiden Moderatoren, die ihre letzten hundert Diätkuren bei McDonalds gemacht haben, XXXXL-Klamotten aus der Altkleidersammlung tragen und denen der Reim einfällt: "Drei, vier Obstler vor dem Tanz - hebt die Stimmung und den Schwung!". Gilt RTL nun als Unterschichten-Fernsehen oder als Fettschichten-TV, oder nur als umweltbewusste Recycle-Anstalt, die, über kräftige Werbeeinnahmen, aus Scheiße Gold macht?
Zweifel kommen auf, als anderentags das Formel-1-Rennen übertragen wird: Auf der Daimler-Tribüne bilden Menschen mit roten und weißen Schildern den Spruch "Go Kimi", um den Rennfahrer Kimi Raikönen anzufeuern. Habe ich nicht früher in Sowjet-Stadien ähnliche Massendrills gesehen, Tausende, die Parolen wie "Freundschaft" plakatierten, wurden die nicht immer als "gezwungene Kollektive" bezeichnet? Wie gut, dass man am Hockenheim-Ring davon ausgehen darf, dass es sich hier nur um billig eingekaufte Teams handelt.
Wer sich im Ergebnis dieser 24-Stunden-Studie Sorgen um die deutsche Fernsehlandschaft macht, kann sich beruhigen: Der RTL-Anchorman Jauch, den ganz viele Deutsche für den klügsten Mann der Welt halten, weil er auf alle Fragen in der Sendung "Wer wird Millionär" eine Antwort weiß, wird bei der ARD die Nachfolge von Sabine Christiansen antreten. So exportiert das Privatfernsehen journalistische Qualität ins öffentlich-rechtliche. Wie überhaupt der Eigner von RTL, der Bertelsmann-Konzern, ein großer Exporteur von Ideen ist. Mit den Think Tanks der Bertelsmann-Stiftung wird deutschen Politikern nahegebracht, dass nur der liberalisierte Markt den Standort rettet und wir alle länger arbeiten müssen, um besser zu leben. Den Wählern derselben wird mit dem hauseigenen TV solange das Gehirn verkleistert, bis sie eben diese Politiker wählen. Da wäscht eine Hand die andere und wer Böses dabei denkt, der hat eine dreckige Phantasie.