Alles so schön schwarz auf weiß hier: In der Ausstellung "Erzwungene Wege - Flucht und Vertreibung im Europa des 20 Jahrhunderts", im Berliner Kronprinzenpalais, Unter den Linden. Beweiskräftig sieht sie aus, die von Erika Steinbach, der Chefin des Vertriebenenverbandes inszenierte Ausstellung, sachlich und nüchtern, die aufgetürmten Fakten stimmen, man kann nach Hause gehen und ganz schön traurig sein über so viele Vertreibungen.

Man kann aber auch mit einer großen Wut nach Hause gehen, denn Frau Steinbach und ihre Kuratoren zelebrieren den schäbigen Trick der Gleichstellung aller Opfer. Von den erschlagenen Armeniern im Jahr 1915/1916, über die industriell ermordeten Juden, bis zur "Vertreibung der Deutschen am Ende des zweiten Weltkriegs": Alle haben gelitten, will uns die Ausstellung sagen, schließlich starben auch viele Deutsche während der Flucht und der Vertreibung. So mogeln sich die Täter in die Haut der Opfer. Deshalb traut sich die CDU-Abgeornete Steinbach anlässlich der Ausstellungseröffnung den Bund der Vertrieben als "Opferverband" unter anderen Opferverbänden zu imaginieren.

Natürlich waren nicht alle Deutschen Täter, außer einigen wenigen Autoren behauptet das auch keiner. Aber es gibt eine Verantwortung der Deutschen für den Holocaust, es gab schon vor 1933 gute Wahlergebnisse für die Nazis, es gab das bekannte Wegsehen, das Dulden, das Mitmachen. Und es gab den Krieg, der von Deutschland ausging und von dem man in der Ausstellung wenig bis nichts erfährt.

Wenn es um die Ursache der millionenfachen Vertreibung aus dem deutschen Osten geht, liest man auf einer der Ausstellungstafeln, dass der "Auslöser das Vordringen der Roten Armee" gewesen sei. Wie kamen die Russen nach Ostpreußen, Schlesien und Pommern? War es mal so eine Idee von Stalin, nach Deutschland einzumarschieren, hatte die Rote Armee gerade nichts anderes vor?

In der Ausstellung wird weder die Schuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg, in dessen Gefolge Flucht und Vertreibung aus dem deutschen Osten erst möglich wurde, noch der "Generalplan Ost" thematisiert, jenes widerliche Nazi-Vorhaben, das etwa 20 Millionen Menschen in Polen und der Sowjetunion als "überflüssig" bezeichnete, also zur Ermordung bestimmte. Dass dieser Plan nicht zur Gänze gelang, lag nicht unerheblich an eben jener Roten Armee, die von den Ausstellungsmachern als "Auslöser" der Vertreibung bezeichnet wird.

Diese Denkhaltung kommt nicht von ungefähr. Die "Charta der deutschen Heimatvertriebenen", ihr nach wie vor zentrales und gültiges Grundsatz-Dokument, prominent auf der Website des Verbandes annonciert, gibt über die Geisteshaltung des Verbandes reichlich Aufschluss. Zu Beginn der Charta "verzichten (die Vertriebenen) auf Rache und Vergeltung". Implizit sagt der scheinbar großzügige Verzicht, dass sie sehr wohl ein Recht darauf hätten. Wer so seine Charta beginnt, der findet es nur logisch, dass "Die Völker der Welt ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden (sollen)".

Da haben wir die schmutzige Quelle, aus der sich die Ausstellung zur "Flucht und Vertreibung" speist: Die "Völker der Welt", die überfallenen Polen und Russen, die gemordeten Juden, die liquidierten Tschechen und wer sonst auch immer, sollen eine "Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen" übernehmen. Die waren ja auch die "am schwersten Betroffenen". Über die Charta schweigt die Ausstellung wie sie auch darüber schweigt, das dieses Papier 1950 von einer Reihe ehemaliger Nazifunktionären, die sich in Vertriebenenfunktionäre verwandelt hatten, unterzeichnet wurde.

Aus der Reihe der geschilderten Vertreibungen in Europa kann man sich willkürlich eine heraussuchen und wird immer wieder den Steinbach-Trick finden. Zum Beispiel im Kapitel zur "Vertreibung der Italiener aus Jugoslawien", gemeint ist im Wesentlichen das Gebiet Istrien. Zwar erinnern die Kuratoren daran, dass später auch von dort Juden und andere Missliebige deportiert wurden. Aber zuvor sagen sie von der "italienischen Politik", dass sie die Wirtschaft in Istrien förderte. So gerät Mussolini, der in jener Zeit die "italienische Politik" bestimmte, zum Wirtschaftsförderer, der allerdings später diesen oder jenen Istrier zum Tod beförderte. Warum, in welchem Kontext und in wessen Interesse, das verschweigt die Ausstellung.

Das Kronprinzenpalais gehört der Bundesvermögensverwaltung, sie entscheidet, wem und zu welchem Zweck die Räume vermietet werden. Morgen am Tag, sagen Kenner, müssten die Vertriebenenverbände ihre Läden schließen, wenn deren Bundeszuschüsse gestrichen würden. Was treibt die Koalitionsregierung dazu, diese Geschichtsklitterer und faktischen Nazi-Apologeten zu finanzieren, ihnen Räume für eine Ausstellung zur Verfügung zu stellen, die ein Schritt auf dem Weg zum "Zentrum gegen Vertreibung" sein soll? Ist es die Hoffnung, die Lufthoheit über die Stammtische zu behalten? Braucht die Militarisierung der deutschen Außenpolitik eine ideologische Weißwäsche? Wahrscheinlich ist es der bekannte Wunsch nach einem "Schlussstrich", der Wunsch nach dem Ende der Debatte über die eigene Geschichte. Man wird sehen, dass mit der Steinbach-Austellung genau das Gegenteil erreicht werden wird.

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