Mehr als sieben Millionen Hartz-IV-Empfänger leben in Deutschland. Die Zahl wird steigen, wie die der Arbeitslosen auch. In der Bundesrepublik sitzen diese Armen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, allein zu Hause: Vereinzelt, entsolidarisiert, desorganisiert und desorientiert. Wer noch nicht betroffen ist, kann es morgen sein. Die Deutschen starren auf die Krise wie die Karnickel auf die Schlange. Dass es anders geht, dass es den aufrechten Gang, das Ringen um die eigene Würde in Verbindung mit dem Kampf um Arbeit gibt, das zeigt der Film von Jeanine Meerapfel, gedreht in Mosconi, einer kleinen Stadt im Norden Argentiniens: "Wer sich nicht wehrt, kann nicht gewinnen".
Anfang der 90er wurde auch Argentinien unter Carlos Menem von der weltweiten, "marktwirtschaftlichen Revolution" erfasst: Staatsbetriebe wurden unter Wert an multinationale Konzerne verschleudert: Öl-, Erdgas-, Elektrizitäts- und Transportgesellschaften und die Rentenkasse kamen in die Tombola und machten die Konzerne reich und die Armen noch ärmer. In Mosconi war es der alles bestimmende staatliche Erdölbetrieb, bei dem über 90 Prozent der Bevölkerung beschäftigt war, der unter den Hammer kam. Die Arbeitslosenquote stieg danach um 70 Prozent. In Meerapfels Film sieht man einmal kurz ein Firmenschild: "Haliburton". Ein schöner Hinweis auf den Fluss des Geldes.
Die Privatisierung, das erzählen die Protagonisten des Films, stahl ihnen nicht nur die Arbeit: Das Wasser ist seitdem verschmutzt, die öffentlichen Institutionen im Bildungs- und Gesundheitsbereich haben die Arbeit eingestellt oder dämmern vor sich hin. In Mosconi hat eine autonome Selbsthilfeorganisation (Piqueteros) mit einer außerordentlichen Form der Überführung des Privaten in das Gemeinsame den Kampf gegen die Entstaatlichung aufgenommen: Mit dem spärlichen Sozialhilfegeld des Staates, das die Piqueteros in einen Topf werfen, werden gemeinschaftliche Projekte wie Schulen, Wohnbauten oder Recycling-Unternehmen finanziert und so Arbeit geschaffen.
Jeanine Meerapfel zeigt uns gute Gesichter: Einfache Leute, die eine schwere Sache in Angriff genommen haben und den versagenden Staat ebenso zu ersetzen suchen, wie sie die private Gier der Konzerne verächtlich machen. Niemand soll zu Hause sitzen, sagen ihre Projekte, keiner soll Däumchen drehen, erzählen ihre Aktionen. Im Film spricht eine Frau, die für ihr Alter nur noch wenig Zähne hat, das aus, was alle dort denken: "Wer sich nicht wehrt, kann nicht gewinnen". Für Zahnersatz gibt es dort kein Geld, aber beißen können sie in Mosconi. Auch oder gerade weil Justiz und Polizei sie mit Verfahren und Prügeln überziehen, sind sie jene Sorte Menschen, die ohne Ethik-Studium wissen, dass der Mensch der Gemeinschaft bedarf.
Dieses unbedingt Gemeinsame verstärkt die Regisseurin mit einem genialen Einfall für den Film: Sie drückt den Piqueteros kleine Kameras in die Hand. Sie sollen sich und ihre Arbeit dokumentieren, sich kenntlich machen und erkennen. So laufen sie denn, ein wenig wie die Touristen, in ihren schlichten Betrieben, bei ihren einfachen Mahlzeiten und während ihrer kargen Pausen, mit Kameras in der Hand durch die Bilder der Meerapfel und wirken nicht für eine Sekunde lächerlich. Das liegt sicher an der aufrichtigen Ernsthaftigkeit der Protagonisten aber auch am Blick der Regisseurin: Sie verweigert sich der üblichen, kühlen Beobachtung von Menschen außerhalb unserer sozialen Erfahrung. Sie steht im Verdacht der Solidarität.
Einmal rücken die Piqueteros aus, um Holz zu holen. Die Konzerne haben mal wieder illegal in den Wäldern der Gegend Bäume gefällt. Das hat man nicht verhindern können, aber zumindest das Holz wollen die Leute aus Mosconi , zum Wohle des Volkes, enteignen. Fünf Mann versuchen, ohne mechanisches Hebezeug, einen dieser Zentner schweren Baumstücke auf die Ladefläche des LKW zu heben. Minutenlang bleibt die Kamera auf dieser Szene, als die Arbeiter mit Hau und Ruck, erst vergeblich, dann, später, erfolgreich, das Mords-Trumm verladen. Natürlich hat sie ein Gleichnis gesehen, die Meerapfel, und dass sie es uns mitbringt, ist ein Verdienst.
In diesen Tagen wurde im deutschen Bundestag ein Enteignungsgesetz beschlossen. Es ist zeitlich befristet und gilt nur für eine einzige Bank. Und löst doch bei den Liebhabern der Aktie Entsetzen aus. Als ob uns die Banken nicht schon seit Jahren enteignet hätten. Als wäre das neoliberale Personal, das jetzt behauptet die Krise zu bewältigen, nicht an diesem Raubzug beteiligt gewesen. Ach, ginge doch ein Ruck durch unser Land. Nicht jener, den ein ehemaliger Bundespräsident im Sinne von Lohnverzicht und Mehrarbeit gefordert hatte. Sondern der, den uns Jeanine Meerapfel aus Mosconi mitgebracht hat. Und eine gute Portion Hau dürfte auch dabei sein. Ihr wisst schon für wen.
Der Film "Wer sich nicht wehrt, kann nicht gewinnen" wird, in Anwesenheit der Regisseurin, am 2. April 2009 um 19.00 Uhr in der Berliner Akademie der Künste gezeigt. Hanseatenweg, Studio.
Am 19. April 2009 um 22.45 Uhr ist der Film auf "arte" zu sehen.